Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Subversive Meisterin der Maskerade. Die Sammlung Verbund Am Hof zeigt die Ausstellung "Birgit Jürgenssen. Pulsschlag einer Sinnlichkeit"
In: Wiener Zeitung, 16.12.2009, S. 16.

In der 70er und 80er Jahren war Birgit Jürgenssen (1949-2003) in Wiener Galerien und in der Secession als feministische Kämpferin bekannt - auch im Teamwork mit der Künstlergruppe Die Damen. Leider hat sie nie den Stellenwert bekommen, den ihre Arbeiten verdient hätten. 
Nun macht die Sammlung Verbund mit einer Ausstellung in ihrer "vertikalen Galerie" im Stiegenhaus und einer gewichtigen Publikation auf die jung verstorbene Künstlerin erneut aufmerksam. 40 Zeichnungen und Fotografien bieten einen Querschnitt durch das an französischen Surrealismus und Strukturalismus, aber auch an den Strategien der amerikanischen Body-Art und Fotografie orientierte Werk. Einen Großteil davon hat die Sammlung Verbund seit 2004 angekauft.

Nur scheinbar sanft
Die internationalen Autorinnen der Publikation verdeutlichen endlich die über Österreich hinausgehende Aufmerksamkeit - Mitherausgeberin Abigail Solomon-Godeau von der University of California in Santa Barbara steht dafür ebenso wie die renommierte Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen von der Züricher Universität. Bei internationalen Themenausstellungen hat man Jürgenssen mit Cindy Sherman verwechselt; auch wenn das jetzt nicht mehr passieren sollte, die theatralischen Maskeraden beider vor der Kamera sind durchaus vergleichbar. Ironische Selbstinszenierung, als Spiegel für den Betrachter, gelingt ihr variantenreich: vom Schulmädchen über das Opfer und die Hausfrau (z401) bis zur Gladiatorin (ph24). Außer mit den "Damen" ist die Künstlerin allerdings nie vor Publikum mit Performances aufgetreten. Sie widmete sich ebenso wie Valie Export neben der Fotografie dem Bau von eigenwilligen Objekten wie dem "Schuhsessel" (s15) oder experimentierte mit Collagen und ließ sich nie auf eine einheitliche Stilsprache oder Aussage festlegen. 
Jürgenssen appelliert direkt an ihr Publikum - ebenso sehr mit scharfem Sprachwitz wie mit subversiven Titeln unter ihren Werken. Zwischen Sigmund Freud und den französischen Strukturalisten war Jürgenssen eine Gesellschaftskritikerin mit einer nur scheinbar sanften Bildsprache.

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