Jacqueline Rugo
Weibliche Selbstbespiegelungen - Birgit Jürgenssen in der Galerie Hubert Winter

Bedeutende Museumsausstellungen, offizielle Ehrungen und kommerzieller Erfolg blieben ihr zu Lebzeiten verwehrt. Heute gilt Birgit Jürgenssen  als eine der wichtigen österreichischen Künstlerinnen, die Ende der 1960er Jahre damit begannen, gesellschaftliche Dogmen und kulturelle Konstruktionen von Weiblichkeit zu hinterfragen. Drei Jahre nach ihrem frühen Tod zeigt die Wiener Galerie Hubert Winter noch bis Mitte Januar eine subtile Auswahl von fotografischen Arbeiten aus den 1970er Jahren und bietet damit die seltene Gelegenheit eines relevanten Einblicks in ein zu Unrecht viel zu wenig bekanntes künstlerisches Œuvre.


Birgit Jürgenssen gehörte zu jenen Künstlern, die prägnant die Erscheinungsformen des Persönlichen, des Individuellen auf den jeweiligen Rahmen kultureller Bestimmungen hin überprüfte. Erstaunlich ist, wie früh sich die 1949 in Wien geborene Künstlerin Methoden zu Eigen machte, die heutzutage postfeministischer Praxis zugeordnet werden. Ihre frühen Maskeraden und Rollenspiele, die sie bereits im Alter von 17 Jahren mittels selbstauslösender Kamera dokumentierte, bleiben themenbestimmend für ihr gesamtes späteres Werk. Bereits Ende der sechziger Jahre entstanden in ihrer winzigen Atelierwohnung die ersten Selbstportraits, in den Badezimmerspiegel hinein fotografiert. Birgit Jürgenssen bezeichnete diese Arbeiten als Selbstanalysen. „Prinzipiell“, erläuterte sie später, „interessiert mich die Darstellung der Beziehungen und nicht die Darstellung der Dinge oder auch anders gesagt: Das natürliche Erscheinen der Dinge wird erst spannend, wenn die Darstellung der Beziehungen in den Vordergrund gerückt ist.“ mehr

Die Wiener Ausstellung präsentiert eine umfangreiche Werkauswahl, vor allem kleinformatige Fotografien, die als Einzelbild oder in seriellen Zusammenstellungen Anfang der siebziger Jahre entstanden. Alle diese Aufnahmen schuf Birgit Jürgenssen nach dem gleichen Schema: stets posiert die Künstlerin in unterschiedlicher Alltagskleidung und Aufmachung vor dem Spiegel in ihrem Badezimmer und blickt meist direkt in den Fokus der Kamera (ph673). Auf keiner der Aufnahmen posiert sie für eine andere Person, stets ist sie es selbst, die den Auslöser der Kamera bedient. Dispositionen, die die Intimität ihrer Selbstbespiegelungen und damit auch deren Intensität begründen.

Birgit Jürgenssen lässt die Betrachter teilhaben an ihren alltäglichen Ritualen vor dem Spiegel: nach der Dusche, mit Gesichtsmaske und mit Lockenwicklern. Auf anderen Selbstportraits presst sie sich gekleidet in weißer, braver Bluse gegen eine Glasscheibe (ph17), wird ihre Brust zum Bizeps im angewinkelten Arm (ph23), schnürt sie sich einen Feuerlöscher unters Gesäß oder hält sich ein Fell vor das Gesicht (ph679). Bereits diese frühen Arbeiten machen deutlich, mit welcher Stringenz und gleichzeitigen Ironie Jürgenssen versucht, ihren Körper als Projektionsfläche für kulturelle Vereinbarungen und deren Kritik zu benutzen. In einprägsamen, beißend scharfen und immer wieder auch humorvollen Bildern gelingt es ihr, die Mechanismen und Automatismen der Unterdrückung der Frau zu entlarven.

Es sind vor allem diese frühen Werke, die Zeugnis geben von der Erkenntnis, „stark in Rollenklischees aufgewachsen“ zu sein und einem Bemühen, mittels fotografischer Alltagsprotokolle, eine adäquate künstlerische Entgegnung zu finden. Die stilisierten Selbstportraits von Birgit Jürgenssen präsentieren den Kanon der sozial diktierten Aktivitäten und Funktionen der Frau, die kocht, bügelt und putzt und gleichzeitig einem Schönheitsideal entsprechen soll. Peter Weibel bezeichnet ihre Werke 1998 als „Inszenierungen des alltäglichen Schreckens“, wenn sich die Frau selbst bügelt (z963) oder die Küche Teil ihrer Kleidung wird ('Hausfrauen-Küchenschürze'(ph1578), 1975). Mit ihren entlarvenden Verkleidungen und Travestien nahm Birgit Jürgenssen viele Ideen vorweg, die beispielsweise Rosemarie Trockel in den 1990er Jahren aufgriff oder Martha Rosler ebenfalls Mitte der siebziger Jahre in ihrer gleichnamigen Video-Performance gegen die „Semiotik der Küche“ revoltieren ließ.

„Jeder hat seine eigene Ansicht“ (ph16) schrieb Birgit Jürgenssen 1979 auf ihren eigenen fotografierten Rücken. Es ist eine der letzten Arbeiten, mit der die Ausstellung den Querschnitt aus dem ersten Drittel des etwa dreißjährigen Schaffens der Künstlerin beschließt. Hubert Winter gebührt das Verdienst, seiner langjährigen Lebensgefährtin eine substantielle Ausstellung arrangiert zu haben, deren unprätentiöse Form der leisen, nachdenklichen Stimmung der Werke entspricht.

So wird das fotografische Konvolut, das freilich nur einen kleinen Teil eines vielschichtigen Œuvres dokumentiert, zu einem bildnerischen Reigen, der nicht allein die vielen Gesichter von Birgit Jürgenssen vorführt und das reiche Inventar ihrer Gemütszustände, sondern auch das vorsichtige Tastende, Suchende einer ständig um sich selbst Kreisenden eindringlich vorstellt, ohne es zur Schau zu stellen.

Die Ausstellung „Birgit Jürgenssen – Fotos, Rayogramme, Polaroids, Solargrafiken aus den 1970er Jahren“ ist noch bis zum 13. Januar 2007 zu sehen. Die Galerie Hubert Winter hat dienstags bis freitags von 11 bis 18 Uhr, am Samstag von 11 bis 14 Uhr geöffnet. Die Galerie bleibt vom 23. Dezember bis zum 6. Januar 2007 geschlossen.

zum Anfang