Patrick Schabus
In der Tiefe der Texte

Blue walks into the labyrinth. Absolute silence is demanded to all its visitors, so their presence does not disturb the poets who are directing the excavations. 
Derek Jarman 

Das Wechselspiel zwischen Literatur und Alltag war oft der Fokus in den Arbeiten von Birgit Jürgenssen. In den letzten Jahren wurde die Sicht auf ihr Werk manchmal durch diverse Labels verhüllt, nun erlaubt die Galerie Hubert Winter mit der Ausstellung von Cyanotypien einen neuen Blick auf das Oeuvre der Künstlerin. 

Die Cyanotypie ist eines der ersten fotografischen Verfahren. Schon 1840 beschrieb der englische Forscher John Herschel diese Technik. Eine fotografische Lösung aus Eisensalzen und destilliertem Wasser wird auf einen neutralen Träger gestrichen. Ein oder mehrere Objekte werden auf den Träger gelegt, dann wird unter der Sonne belichtet, die Dauer ist dabei variabel. Die Bilder, die dabei entstehen, ähneln Blaupausen, die Objekte sind weiß, die umliegenden Gebiete blau.  mehr

Die Farbe Blau, heute meist männlich konnotiert, war in der Antike ein Symbol von Weiblichkeit. Blau steht auch für das Meer und ist oft das Symbol für die Attribute „unbegrenzte Ferne“ „Hoffnung“ und „Tiefe“. Auch die hier zu sehenden Bilder scheinen nahezu allesamt eine nahezu unbegrenzte Ferne und Tiefe aufzuweisen. Dabei geht dieser Effekt nur zu kleinem Teil von der Farbe selbst aus, sondern entstehen durch die Anordnung der übereinanderliegenden Objekte. 

Oft wurden Familienfotos in den Cyanotypien als Bildelement verwendet. Manche Arbeiten hatte Jürgenssen nur einmal ausgestellt, andere werden hier zum ersten Mal öffentlich gezeigt (sp64) (sp81) (sp235). Nun sind sie allesamt in einem Raum zu sehen, nebeneinander und gegenüber. Funktioniert denn diese Anordnung, oder ist es ein gescheiterter Versuch? 
Die Arbeiten weisen sehr unterschiedliche Qualitäten auf. Manche Arbeit wird womöglich außerhalb der Gesamtschau nicht alleine bestehen können, andere Bilder wiederum stechen wie Leuchtfeuer in die Augen. Diese verwundern, und zwingen den Besuchern neue Lesarten auf. 

Es sind jene Arbeiten in die Jürgenssens Text einfließen ließ. Sie erinnern einerseits an dadaistische Collagen, aber es gibt auch Anleihen aus der Konzeptkunst. Hier liegen die Bildschichten manchmal wie Schleier übereinander, und gerade dadurch entstehen Zusammenhänge zwischen Körperpolitik und Text. Und es gibt Verbindungen zu frühen Werken wie „Jeder hat seine eigene Ansicht“ (ph16) von 1975 und „Ohne Titel (Körperprojektion)“ von 1988 aber auch zu späteren Werken wie „Hauch“ von 1995 oder „Ich bin.“ (s46) ebenfalls 1995. 

Besonders erwähnenswert ist eine Arbeit, die bislang in keiner der beiden Monografien Platz gefunden hat. Hier sieht man oben ein Bild zweier liegende Damen und unten steht ein Zitat des surrealistischen Künstlers und Dichters Roland Penrose (sp118). Ein kontextuelles Spinnennetz verbindet hier ihr Jürgenssens für Autobiographisches und Text. Wie ein ferner Kommentar auf jenes Reisebuch von Penrose dem das Zitat entnommen wurde, erscheint diese Arbeit. Genauso wie alle Werke ist auch sie ein Unikat. 

Hoffentlich wird es nicht in eine private Sammlung verschwinden, damit es noch oft in anderen Zusammenhängen zu sehen sein wird. Es wäre notwendig Jürgenssens Werk in anderen Kontexten als Feminismus und Körperpolitik zu zeigen, denn sie selbst hat sich auch nicht ausschließlich in diese Schublade räumen lassen. Wie Fäden ziehen sich Texte durch ihr gesamtes Schaffen, es bleibt offen, ob in der nächsten Zeit daraus etwas gewebt wird, oder die Fäden unverknüpft in diversen Sammlungen versteckt bleiben.

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