Cathrin Pichler
Bilder Wunsch
In: Ausst.-Kat. Birgit Jürgenssen. Nekyia. Nacht Seh Fahrt. Night See Crossing (Southampton: John Hansard Gallery, 1987), S. 18-22.

'Wer ein Bild macht zeigt etwas das gezeigt auf Zusammenhang zurückscheint.' 1

'Das Wort 'Bild' hat einen schlechten Ruf, weil man gedankenlos geglaubt hat, dass eine Zeichnung ein Abdruck, eine Kopie, ein zweites Ding sei, und das geistige Bild eine Zeichnung dieser Art in unserer geistigen Rumpelkammer. Wenn nun aber das Bild nichts dergleichen ist, so gehören Zeichnung und Gemälde ebenso wenig wie das Bild dem Ansich an. Sie sind das Innen des Außen und das Außen des Innen, das die Doppelnatur des Empfindens möglich macht, ohne die man niemals die Quasi-Gegenwart und die immanente Sichtbarkeit verstehen könnte, die das ganze Problem des Imaginären ausmachen.' 2
Dem Schaubaren enthüllt sich also zweierlei, ein Außen und ein Innen, das was im Leben immer Bewegung ausmacht, ein Pendeln, das vermag im Bild, im Kunstwerk zum Stillstand zu gelangen, eins zu werden. Unsere Phantasien und Imaginationen haben im Bild eine Realität, das Innen dringt in der Malerei nach außen, ebenso wie es im glücklichen Fall des Erkennens durch das Auge wieder ein Inneres zu spiegeln vermag. Die Kunst ist gleich einem Versprechen, sie hält uns in Schwebe, mit der immer wiederkehrenden Hoffnung auf Verwirklichung der Phantasien.
Wirklichkeit und Phantasie, Realität und Traum verlieren dabei nicht ihren Gegensatz, das Bild macht nur die Möglichkeit bewusst, das sich diese Gegensätze versöhnen. Das verdankt sich jener doppelten Natur der Kunst, sie ist Schein und Wirklichkeit zugleich, hat einen doppelten Boden. Weil die Kunst immer noch " ... ein Spiel der Einbildungskraft ist, welche uns zu gleicher Zeit bindet und löst, uns gefangen nimmt im Dargestellten und es doch nur als ästhetischen Schein darstellt. Aus dieser doppelten Wurzel - Darstellung und Fiktion - zieht die Kunst ihre Macht, die Anschauung über das Gegebene hinaus zu erweitern, unsere Erfahrung durch Mitleiden zu vertiefen; aber um den Preis eines beständigen Schillerns und Wechsels zwischen Wirklichkeit und Bild." 3 In Zeiten vertausendfachter Bildbanalität hält das gemalte Bild der Tradition sich in Einmaligkeit, es bleibt einfaches Dasein, Bastion der Einzigartigkeit wie der Ernsthaftigkeit der Phantasie. Das Außen - Bilder der Welt und des Lebens, tauchen, zuerst nach innen gekehrt, aus dem Inneren wieder auf unverwechselbar und unwandelbar als Formung einer Vorstellung, als Zeichen des Widerstreits von Gefühl und Erfahrung, von Innen und Außen.
Das Bild hält die Widersprüche und Bewegungen in einem Ereignis festgebannt. Die Phantasien sollen aus dem Inneren entführt und zur Wirklichkeit gebracht werden, für kurze Augenblicke zeigen sie sich im Kampf gegen unsere Äußerlichkeiten und im Ringen gegen unsere alltägliche Welt. Die Kunst vermag uns noch zu den Wünschen zu verführen, sie überlässt uns ein Stück ihrer Magie der Doppeltheit von Schein und Wirklichkeit - mit der Chance nach Innen zu schauen. In der stürmischen Fahrt des Daseins ist das Bild ein Halt, ein Lichtpunkt, verführerisch wohl, sich in dessen Schein zu verblenden, immer aber auch Äußeres und daher mit der Wirklichkeit verwandt. Das eben ist die Doppeltheit des Bildes, das in seinem Rahmenraum, mit seinen Farben und Formen, seiner Greifbarkeit und Oberfläche zugleich nichts anderes ist als "freigesetzte Imagination". 4
Was ist es aber, das zwischen Innen und Außen bewegt? Der Motor der Bewegung sind vielleicht unsere Wünsche. In ihnen liegt schon ein Drängen nach Außen, haben sie doch eine Bruderschaft oder Schwesternschaft mit dem Begehren. Zumindest haben sie eine Richtung, stellen Ansprüche auf Verwirklichung, Ansprüche, die nirgends so stark und so bildlich sind, wie in unseren Träumen. Die Träume und Imaginationen zeigen sich in Bilderzeichen und erheben im Bild Anspruch auf ihr Dasein. So kann das gemalte Bild Erinnerungsraum unserer eigenen Wünsche werden.
Birgit Jürgenssen legt in ihren Bildern Spuren aus - zuweilen Gegenständliches, atmosphärische Anklänge an die Szenographie der Wirklichkeit, die uns Einstiege ins Reich der Imagination gewähren. Haltegriffe und Angebote, mitzuziehen auf eine Reise ins Innere. Eine Reise der Selbsterfahrung sollen die Bilder zeigen, Wegstücke von Innen nach Außen und von Außen nach Innen, Spiegelungen, die durch "Wahrnehmen und Wahrgeben" 5 die Welt ein wenig durchsichtiger, das Außen ein wenig durchlässiger machen sollen.
Die im Bild befreite Vorstellung ist Gefühl wie Idee, Sinnlichkeit wie geistiger Wunsch. Die Verwirklichung - das beschreibbare Kunstwerk - präsentiert so auch ein Begehren, es ist die Idee gewordene Leidenschaft.
Der Bilder Leidenschaft ist aber nichts anderes als Spiegelung und Spiegel zugleich zu sein, die Magie der Kunst nichts anderes als jenes Balancieren und Oszillieren zwischen Innen und Außen. Sie gehört zu beiden, zum Künstler wie zum Betrachter. So liegt die Faszination der Bilder in ihrem Rückzug von der Oberfläche des Berührbaren, zuerst Schaubaren, ins Innere und ihre ganze Preisgabe gelingt dann, wenn der Betrachter folgen kann, wenn ein Wiedererkennen im Augen-Blick sich vollzieht. Wenn das Bild sich mit dem Begehren des Betrachters trifft, wird auch sein Wünschen klar. Für den Moment des Wiederfindens, des Wieder-Erkennens hat das Begehren des Bildes sein Ziel erreicht: es wird das, was ganz Außen war, wieder in ein Innen umgekehrt, es findet wieder zu einem Wunsch zurück. In den Momenten solchen Zusammentreffens kommt die Reise zum Stillstand, das Bild wird wahr und ein Begehren findet zu sich selbst. mehr

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