Reinhard Priessnitz
10.4.84 / o birgit, ...
In: Ausst.-Kat. Birgit Jürgenssen (Wien, Düsseldorf: Galerie Hubert Winter, 1984), S. 1.

10.4.84

in vielen phasen überlebt die kunst;
in dämmerung, in wein, in nischen,
ausschüttend alles, zum darüberwischen,
für manches, nichts, für geld, sogar umsunst;

und immer dran, beim pinseln oder pischen,
nachts zugeschissen und des tags verbrunzt,
der himmel selber: nichts als blauer dunst;
so lernens häufig trübe hinzufischen.

frau fängt nichts; s dauert und wird winter.
mann friert vom sein zum nichts, bei kaltem klagen
wird's manchmal frühjahr; immer unverhofft

trifft sie ein tropfen farbe, schon zerrinnt er;
o kranker wein, o allzu enger loft,
liesse sich der geburts tag doch vertagen!.

o birgit, ...

O birgit, jene mühlen in uns, um schon beim bild angekommen zu sein, wo wir die interpretierten, aussortierten, wiedereingebauten augenblicke, zeitgerinnsel, gefühlsthrombosen etc. als erfahrung oder noch kühner, kalkül, in die trichter giessen, dass daraus das sinnmehl riesle, von welchem wir uns so feine erkenntnisnäschereien - unser täglich brot - herausbacken versprechen, jene sich mühenden mühlen mahlen langsam, aber beständig, ob wir, dir bei gelegenheit gesagt, nun rechnen oder reden, lieben oder lesen, meinen oder malen, die mühle mahlt, der maler malt, beide ma(h)len - oder wie schreib ich das -, dass es nur so staubt, tja. in den guten momenten, beim schaugenuss oder ähnlichem, jedenfalls wenn's so richtig schmeckt, darf sich jeder für sich - sehr selten alle miteinander - las der kühne konstrukteur des ma(h)lmenden getriebes, apparats, wie auch immer, wähnen oder zumindest über eines, einen solchen verfügen, und steht er nun vorm, ist er noch beim oder tut er gar am bilde, dann ists einem, als dröhnte der klapperatismus immerfort zu einem rauschenden bach (oder mahler). das ist die - meine - unbeholfene mechanik angesichts der mahl-und malprodukte, die, von mal zu mahl, gleichfalls unbeholfen und uralt erscheinen, zumal dann, wenn's mit der kunst immer weiter zu klappern sich anschickt. was auch hülfs? seit sinnbart dem sehfahrer gestalten die sinne den sinn mit, um, aus, als müller, als maler, entwickeln grammatiken, überzeugungs- und überredungsstrategien, die taktiken und didaktiken, selbst zerstörungssehnsüchte, augenleiden, bildung und einbildung, bedeutungen und deutungen, vollbeschäftigung und krisen, möglichkeiten und märkte, die schönheit höchstselber womöglich, wirkungen, wirklichkeiten, werke, uswusf.: bilder, bildliches, den augen gut, dem sinne tauglich, der kommunikation komfortabel. alles bleibt in betrieb, und die wunderlichen bildkonstrukte, die du in deinen ma(h)vorgängen konzipiert und durch die maschine der emotionen, anspielungen und um zuschüsse angereichert hast, erlauben dann so armen, eingemehlten wehmüllern wie mir diesen scheuen, in schüchterne sprache gebrachten dank und gruss. Bis zum nächsten ma(h)l! dein mehr

reinhard priessnitz
wien, 4.november 1984

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