Elisabeth von Samsonow
Birgit Jürgenssen. Sparta unterm Schminktisch
In: Eikon. Internationale Zeitschrift für Photographie & Medienkunst, 28, 1999, pp. 4–9.

Die berühmteste Ringerin des alten Griechenlands – ein Land, das selbst die Intellektuellen nicht von der Pflicht, mit Gegnern zu ringen, ausnehmen konnte – war Atalante. Von ihr schreibt Apollodor: “Als Atalante aber herangewachsen war, bewahrte sie ihre Jungfräulichkeit und lebte als Jägerin bewaffnet in der Wildnis. Die Kentauren Rhoikos und Hylaios versuchten einmal, ihr Gewalt anzutun, fanden aber durch ihre Pfeile den Tod. Auch zur Jagd auf den Kalydonischen Eber stellte sie sich mit den Helden ein, und im Kampfspiel zu Ehren des Pelias besiegte sie den Peleus im Ringkampf.”(1) Die weibliche Heldin tritt an zum Kampf gegen die Helden, die jungfräuliche, athenegleiche (in Sparta waren Mädchen zum Ringen zugelassen) – was ist, wenn sie sich mit ihresgleichen schlägt? Die erotische Assoziation, die das strenge Ringen mit dem Helden so unvergleichlich macht, wird um das Thema “Kollision im Begehren” erweitert. Denn im Falle zweier kämpfender Frauen scheint der Mann, um den gerungen wird, nicht weit zu sein. Der Bedeutungsfluß geht also in die Richtung eines den Anlaß zur Handgreiflichkeit liefernden Manns. Gingen aber drei oder mehr Frauen gegeneinander an, stehen die Dinge wiederum anders. Das ist dann nicht mehr die weibliche Schlammschlacht, eine Orgie ausgelöst von niederen Eifersüchten und Neidgefühlen.(2) mehr

Architekturen affektiver Kilopond-Koeffizienten Im Modell dreier ineinander geschlungener Frauen erinnert man die drei Grazien, die die sagenhafte Dreizahl in der eleganten Form bebildern; die dunklere Variante wird von den drei Parzen besetzt, die am Schicksal weben. Die helle, aber auch die düstere weibliche Trinität reflektieren eine in verschiedenen Aspekten erscheinende Göttin der alten Kulturen, wobei die Struktur ihrer Darstellungen eher von Kooperation als von Konkurrenz geprägt ist. Birgit Jürgenssen nimmt als Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ihre eigenen Photographien dreier weiblicher Aktmodelle, die in einer legendären Aktion der ehemaligen Meisterschule Rainer sich gegenseitig buchstäblich in Angriff nehmen sollten. Die Kompositionen der drei Figuren, Architekturen affektiver Kilopond-Koeffizienten, sprengen den Rahmen des bisher im Archiv weiblicher Pathosformeln gespeicherten. Man ahnt, daß hier eine Ikonologie entwickelt werden müßte, die ein neues Kämpfertum neuer Frauen zu erfassen in der Lage wäre, eine neue Ikonik interner Frauenangelegenheiten und des ihnen eingeschriebenen Stils des Rankings. Was die unmittelbare Evidenz der Kompositionen und ihrer affektiven Töne zu denken gibt, ist die Frage, ob erstens hier nur eine Art Kopie männlichen Ringens vorliege, also ein mimetisches Sich-hinein-Raufen in die Konkurrenzspiele männlicher Machtmenschen, und dann zweitens, ob nicht bei drei Ringerinnen jede Entscheidung, welche nun im Singen eines altmodischen Siegens die Stärkste und Beste wäre, schon aus Gründen der mit der drei stets gegebenen Zirkularität verhindert würde, ob also vielleicht das Ringen dreier Frauen (wobei die Zahl der Teilnehmerinnen unter Umständen auch erhöht werden könnte) eine Einrichtung zur Aufhebung und Unschädlichmachung ihrer kämpferischen Kräfte sei? Sosehr auch die Bilder von einer wilden Weiblichkeit vor deren Zähmung sprechen, könnten sie doch auch die Choreographie der in sich verhakten mimetischen Konkurrenz nach der vorläufigen Befreiung aus einer allzu gelungenen Zähmung augenfällig machen.

Jürgenssen hat die Bilder der Erdenschwere, die ringenden Frauen anhaftet und sie gewissermaßen herunterzieht, entledigt und sie in ein leichteres, luftiges Sein aufrücken lassen, indem sie die emblematischen und in ihr energetischen Ballung doch statuarisch wirkenden Gruppen mit Flüssigkeiten zur Interaktion gebracht und dann photographiert hat. Ort der Wandlung ist das Leuchtfenster eines overhead projector, wo die Transparente der Ringerinnen mit feinen farbigen Badeessenzen getränkt sich auf unvorhergesehene Weise weitermalen, sich der strenge Bau der Leiber, Zustände und Gefühle in Farbflecken und anorganischen Ornamenten auflöst. Die einander entgegengesetzten Welten des durch und durch Un- oder Akosmetischen (des weiblichen Ringens, also nackter, sich anstrengender Frauen – nicht gerade ein Hauptthema von Vogue) und die des Kosmetischen (Badeessenzen, verlaufende Farben, wohlriechende, leicht klebrige Flüssigkeiten zum Sich-schön-Machen) werden wirklich in der Projektion auf die Wand fusioniert, so daß die Photographien den Eindruck hinterlassen, man halluziniere in den Tiefen eines Schminktischs bereits genau das, wogegen (oder besser: wofür) man (sich) anmalt. Im Fond der Kosmetik erblickt man die wilde Natur unmittelbarer Handgreiflichkeit, als deren sublimierte Form das friedliche Hantieren mit den schönen Ölen gelten kann. Rauft sich, wer das Schöne will, ästhetisch nach oben?

 

1          Zitiert aus Ringen. Texte, Übersetzungen und Kommentar von G. Doblhofer, W. Petermandl, U. Schachinger (Quellendokumentation zur Gymnastik und Agonistik im Altertum, Bd. 6, herausgegeben von I. Weiler), Wien, Köln, Weimar 1998, S. 22.

2          Neuerdings werden solcherlei Kämpfe im amerikanischen Fernsehen in Form einander komplett demontierenden Trickfilmpüppchen – unschwer als Darstellerinnen etwa von Madonna und Uma Thurman zu erkennen – aufgeführt.

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