Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Feminismus in Bildern
In: Wiener Zeitung, 12/2010.

Die subversiven Objektanordnungen der Zeichnerin und Fotografin Birgit Jürgenssen (1949 bis 2003) sind von plastischem Denken geprägt, meint ihr Kollege Peter Weibel. Die Aussage verwundert, erweist sich aber letztlich als gültig. Als eine der ersten Fotografinnen setzte Jürgenssen das Thema Körper in räumlichem Denken um. Eine unglaublich zarte Anordnung bildet die "Elevin" (s32): Das Foto, das ein Ballettröckchen und ein Paar goldener Schuhe in einer Vertikale zeigt, findet sich nun an der Eingangsstirnwand des Kunstforums.
Das Werk aus dem Jahr 1993 erlaubt etliche Interpretationen - für jeden Besucher eine. Frau "Bicasso Jürgenssen", wie sie sich in ihrer Kindersignatur nannte, ist da der abwesende Körper in der von ihr bevorzugten Vieldeutigkeit - halb Surrealistin, auch Konzeptkünstlerin, immer kombinatorisch und niemals eindeutig fassbar, verschleiernd wie enthüllend. mehr

Frühe Schwäche wird zur späten Stärke
Die erste Retrospektive im Kunstforum nach Jürgenssens Tod ist die bisher größte in Wien, wo die Künstlerin meist tätig war, an der Angewandten studiert hat und daselbst wie an der Akademie am Schillerplatz lehrte. Als sie in der Albertina ihre perfekten Zeichnungen 1978 mit Fotografien in Analogie setzen wollte, war diese Kombination noch undenkbar. Von Anfang an weigerte sich Jürgenssen, wie ihre erfolgreichen männlichen Kollegen, nur einen Stil zu verfolgen und nur ein Medium zu verwenden. Aus der damaligen Lesart von Vielfalt als Schwäche wird nun eine späte Stärke. Nicht zufällig voraus war sie auch mit ihrer Konsequenz, das strukturalistische Denken und die Ethnografie als eine Kombination von Wissenschaft und Kunst früh in die österreichische Kunstszene einzubringen.
Bekannt wurde Jürgenssen im Zuge der feministischen Debatte durch ihre selbstironische Aufarbeitung der passiven wie der aktiven Rolle der Frau, die Thematisierung problematischer Partnerschaften und disziplinierender Codes in der Gesellschaft. Das bekannte Wandobjekt "Hausfrauen-Küchenschürze" (s51) von 1975 zeigt in begleitenden Fotos (ph1578) eine performative Aktion, die wie alle Körperinszenierungen der Künstlerin ohne Öffentlichkeit stattfand. Vor dem Badezimmerspiegel entstanden in jahrelanger Inszenierung zahlreiche Mutations-Fotos, hin zu einer Art Tierfrau: Das daraus entstandene fotografische Selbst mit Fuchsfellchen (ph679) (1974/77) taucht wie ein roter Faden immer wieder in der Schau auf.

Zwingend ist nichts, auch keine Chronologie
Besonders sympathisch ist an Jürgenssen die Tatsache, dass ihre Hauptwerke nicht großformatig sind, dass es keine direkte Linie gibt oder diese aus Serien oder ikonografischen Gruppen zu konstruieren wäre. Jede Arbeit steht im Grunde mit den anderen in Bezug. Diesem disparaten Muster wird die Hängung gerecht: Es gibt zwar Themenkreise in mehreren Medien, doch zwingend ist nichts, auch keine Chronologie. Dieses sehr aktuelle Grundkonzept erlaubt keine Einheitlichkeit, das Arrangement lässt so viele Assoziationen zu wie Jürgenssens subversiver Grundton. Nicht von Ungefähr holte sich etwa der bekannte Kulturtheoretiker Klaus Theweleit Arbeiten zur Bebilderung seiner zeitgeistigen Bücher.
Wie im ersten Raum die zarte Assemblage an der Stirnwand ist im letzten eine Installation aus der Galerie Winter "10 Tage - 100 Fotos" (s29) (1981) nachgebaut. Ein Bezug zur "Pelztasse" der Surrealistin Meret Oppenheim eröffnet sich nicht nur durch Jürgenssens Selbst-Befellungen in den großen, erstmals ausgestellten Zeichnungen und Fotografien, sondern auch durch die unheimliche Montage vieler Doppelgänger unseres Selbst. Während der "Schuhsessel" (s15) doppelbödig zwanghaftes Sitzen illustriert, ist das "Nest" (ph761) ein Widerspruch zwischen Sexualität und Mütterlichkeit. Die Braut (z887) verströmt Wasser aus ihrem Kleid, nicht ganz "Männerphantasien" entsprechend.
Als "Boa Mystifix" (ph1188) hat Jürgenssen sich an die Stelle Kaiser Ferdinand III. in ein Emblem collagiert, mit Gold lädt sie ihre beiden Fetische Schuh (ph1618) und Feigenblatt (ph42) auf - immer byzantinische Prinzessin oder auch Altägypterin, hinterlässt sie uns einen römischen Brustpanzer als Augusta (z107) . Darauf ist der Hausfrauenalltag als Rollenmacht zu Zeichen mutiert.
Die ganz analytische Nachtfrau der Psychoanalyse spielt sie am Klavier der Persiflage über den "Penisneid" Sigmund Freuds. Sie vermag, die Prähistorie wie die Antike in komplexen Bögen in die Gegenwart zu katapultieren - Privates wird politisch, ihr Eigensinn "jeder hat seine eigene Ansicht" (ph16) Programm. Mit der Gruppe "Die Damen" ist Jürgenssen schließlich doch noch 1988 bis 1995 öffentlich aufgetreten.

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