Birgit Jürgenssen
Der Mittelbau
In: Carl Pruscha (Hrsg.), Akademie der Bildenden Künste (Wien: Akademie der Bildenden Künste, 1989), S. 127-129.

"Mittelbau" klingt wie der Erdbau eines Fuchses - unterirdisch, oder zumindest zwischen einer "oberen" Schichte und einer vorausgesetzten "darunterliegenden" Schichte. Dazwischen, zwischen allen Stühlen, und doch ein wesentliches Bindeglied.
Der Mittelbau umfaßt alle im Hause Lehrenden, die nicht ordentliche Professoren sind. Darunter versteht man also die Assistenz-Professoren, die Hochschulassistenten, die L1 Professoren, die Lehrbeauftragten (mit mehr oder weniger Stundenverpflichtungen und dementsprechend größerem oder kleinerem Wirkungsbereich), Vertragsassistenten und die Dozenten, insgesamt rund 120 Personen. 
Dieser Kreis hat erst in den letzten zwanzig Jahren dieses Ausmaß erreicht, da die Lehre differenzierter geworden ist und bemüht sein muß, alle primären und sekundären, aber notwendigen Bereiche sowie eventuell angrenzende Disziplinen einzuschließen, um das Studium den modernen Anforderungen unserer Zeit anzupassen. Sie ergänzen den Meisterschulbetrieb. Sie sind der Meisterschulbetrieb.
Die Lehrenden im sogenannten Mittelbau sind also Träger wesentlicher Teile der Lehre und Forschung.
Einerseits sind sie Vertreter - in vielen Stunden - der Meister, andererseits sind sie aber auch eigenständige Künstler oder Wissenschaftler, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen vermitteln.
Dieser Mittelbau ist in mancher Hinsicht bemüht, eine Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Meisterschulen und Instituten herzustellen und zu gewährleisten, daß ein Austausch möglich ist.
Der Mittelbau ist aber auch zuständig für den organisatorischen Ablauf des Schulalltages, er ist verantwortlich und für die ordentliche, sachgemäße Durchführung zuständig.
In letzter Instanz ist er das Verbindungsglied zwischen Professoren und Studenten.
Seit 1. Oktober 1988 ist, durch das neue Akademieorganisationsgesetz, der Mittelbau ebenso wie die Studenten und die ordentlichen Professoren im Akademiekollegium vertreten, und kann in gewissen Grenzen die großen Richtlinien nun öffentlich - und nicht mehr wie bisher im Untergrund - mitbestimmen und muß sie daher auch mitverantworten.
Die Arbeit im großen Kollegium der Akademie der bildenden Künste ist eine schwierige. Nicht so sehr der Größe (49 Personen) als vielmehr der Tatsache wegen, daß Mitbestimmung in diesem Haus scheinbar erst gelernt werden muß.
Beinahe 300 Jahre haben Professoren allein bestimmt, was am Schillerplatz geschehen soll, seit 1. Oktober 1988 tragen auch Studierende und Vertreter des Mittelbaus Mitverantwortung.
Manche sehen die Mitbestimmung als lästige Pflicht, als bürokratischen Aufwand, der die "Kunst" verhindert, als unnötigen Umweg, der behindert, eigene Standpunkte und individuelle Vorstellungen rasch und direkt durchzusetzen.
Andere sehen darin die Chance Entscheidungen gemeinsam zu treffen, um die Interessen möglichst aller Gruppierungen im Haus zu wahren, auch die eigenen.
Wieder andere sehen in der Mitbestimmung die Herausforderung endlich eine Neuorientiertheit im Haus zu erreichen, ein legitimer Anspruch, bedenkt man, daß Lehre und Beispiel an einer Hochschule nicht Mittel zur Selbstdarstellung eines Einzelnen sein kann, sondern den hier Studierenden nützen muß.
Das Gefüge der Akademie ist ein denkbar komplexes. Der Gesetzgeber hat versucht, Ordnung in dieses Gefüge zu bringen - eine demokratische Ordnung - so wie es anderswo schon lange üblich ist. Das ist sicher hier im Haus schwierig, man wird mit der Zeit einen modus vivendi finden müssen, der die Ziele des gemeinsamen Mitbestimmens nicht verrät, der jedoch zuläßt, beweglicher und effizienter zu agieren. Dazu muß sich das Selbstverständnis jeder einzelnen Gruppe neu definieren; man muß erkennen, daß es nur gemeinsame Ziele geben kann.
Ein solches Ziel wäre es, jedem hier Lehrenden und Studierenden den Rahmen zu schaffen sich frei seinen Fähigkeiten und Neigungen folgend entwickeln zu können, ein offenes Angebot an Lehre und Raum bereichs- überschreitend anzubieten und endlich die sinnlose gegenseitige Ab- und Ausgrenzung aufzugeben. So wird man lernen müssen, daß Mitbestimmung weder die "Kunst" fördert noch verhindert - daß sie lediglich einem zweiten Publikum ermöglicht an ihr teilzuhaben, man wird lernen müssen, neu gewonnene Verantwortung mitzutragen, indem man mitdenkt und mitgestaltet.
Letztlich sollte die Arbeit im Kollegium eine Annäherung der relativen Stadtpunkte sein, die Diskussion sollte von Sachargumenten getragen und die Auffassungen sollten klar formuliert sein, erst dann können in diesem Gremium Entscheidungen getroffen werden, die frei von persönlichen Machtinteressen sind und deren Konsequenz und Verantwortung gemeinsam getragen werden kann. Ein solches Arbeiten wäre den Einsatz wert.
Die Fähigkeiten, die heute junge Menschen mit sich bringen, sollen von ihnen selbst genützt werden können, indem man ihnen nicht die eigene (die des Lehrbeauftragten) Sichtweise aufzwingt, sondern Angebote von Informationen liefert, die es ihnen ermöglichen, eine kulturelle Haltung zu beziehen.
Wien muß sich von der Identifikation zu seiner Vergangenheit und Geschichte befreien und sich weiterentwickeln. Wir sollten mehr Stellung zum Heutigen beziehen. Das können wir, indem wir Denkungsweisen junger Leute (Studenten) fördern.
Unsere Aufgabe besteht auch darin, Studenten nicht auf ihrem Standpunkt zu isolieren, sondern diesen zu erweitern. Das heißt, sich nicht nur mit der Kunst, sondern auch mit der Alltagswelt zu beschäftigen und lernen, beides kritisch zu betrachten.
Es geht nicht darum, ein Kunstwerk nach dem anderen zu schaffen, sondern vielmehr darum, Überlegungen zu reflektieren, in welcher Art ein junger Künstler mit den erlernten handwerklichen Techniken eine visuelle Sprache finden kann, um sich so mit seiner geistigen Haltung der Öffentlichkeit zu stellen. Jede Technik vermittelt eine bestimmte Aussage. Nicht nur malen ist wichtig sondern auch eine Auseinandersetzung mit anderen Medien.
Es ist dies eine Möglichkeit, ein differenziertes Schauen aus anderen Blickwinkeln zu erlernen. In der Meisterschule Arnulf Rainer ist ein experimentelles Verhalten (Üben) eine ideale Form, um einen speziell eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden. mehr

 

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