Felicitas Thun-Hohenstein
'Alles fliesst, bedingt und durchdringt einander...' Felicitas Thun-Hohenstein spricht mit Birgit Jügenssen
In: Carola Dertnig, Stefanie Seibold (Hrsg.): let's twist again. Was man nicht denken kann, das soll man tanzen. Performance in Wien von 1960 bis heute (Gumpoldskirchen/Wien: D.E.A., 2006), S. 272-279.

Felicitas Thun-Hohenstein: Performance ist ein Genre, das sich, so ja auch in deiner Arbeit, als Teil unterschiedlichster künstlerischer Produktionen etabliert hat. Nun ist das Experimentieren mit den verschiedensten Medien und Techniken stets ein wichtiger Aspekt deiner künstlerischen Praxis gewesen, um, wie du sagst, auf den Kern der Sache zu kommen. Kannst du beschreiben, was dein erster Ansatz für eine Auseinandersetzung mit dem Medium Performance war bzw. was für dich eine gültige Definition dieser Ausdrucksform sein könnte?
Birgit Jürgenssen: Performance bedeutet für mich die Möglichkeit, ein konkretes Anliegen in eine künstlerische Form zu bringen und mit dieser Präsentation direkte Reaktionen hervorzurufen. Das Schlimmste für mich ist Isolation. Die Aktion oder öffentliche Performance ist ein kommunikativer Akt, ein Lernprozess. Persönlich an die Öffentlichkeit getreten bin ich erstmals mit den „Damen", mit welchen ich zwischen 1988 und 1994 zusammen gearbeitet habe. In den 1970er Jahren konnte ich mir nicht vorstellen öffentliche Performance vor Publikum zu machen, dazu war ich zu scheu.  mehr

Mir scheint jedoch gerade auch deine frühe Arbeit von einem stark performativen Ansatz geprägt zu sein?
Ja. Die Zeichnungen, aber natürlich auch die Fotografien und Objekte, sind aus privaten Performances heraus entstanden, die ich dann in das jeweilige Medium umgesetzt habe.

Könnten also deine Zeichnungen, Fotografien und Objekte sowie deren Wechselwirkung als performative Tools beschrieben werden?
Ja, absolut, mir war es auch immer wichtig die Zeichnungen und Fotografien gemeinsam zu zeigen, was lange Zeit ein Problem darstellte, da Fotografie in Österreich erst sehr spät als künstlerische Produktion anerkannt wurde. In der von Valie Export zusammengestellten Gruppenausstellung „Magna - Feminismus: Kunst und Kreativität" (1975, Galerie Nächst St. Stephan) war es mir das erste Mal möglich, die Hausfrauenzeichnungen (z402), Fotos und meine „Küchenschürze" (s51) gleichzeitig zu zeigen. 

Die Ausstellung gilt als Pionierleistung feministischer Vermittlungsstrategien; würdest Du Dich selbst als feministische Künstlerin sehen?
Nicht innerhalb einer Kategorisierung. Ich wollte die gängigen Vorurteile und Rollenbilder, die Frauen in der Gesellschaft zugewiesen werden und mit denen ich immer konfrontiert war, aufzeigen und die Mißverständnisse des Alltags darstellen. Ich habe den Grundtenor dieser Arbeiten einmal in einem Ausstellungstitel, die 1985 in der Galerie Hubert Winter stattfand: „Wie erfährt man sich im Anderen, das Andere in sich? ". Es handelt sich dabei um Reflexionen auf den Blick von außen.

Deine Reflexionen, im wahrsten Sinne als Spiegel des „Anderen", sind subversive Akte der Identitätskonstruktion. Sie beziehen sich auf den soziokulturellen Körper und sind politische Handlung im ästhetischen Rahmen. Das wird besonders an der beißenden selbstironischen Geste deutlich, die ein zentrales Charakteristikum in deiner Arbeit ist und die patriarchale Herausforderung in wirkungsvoller Weise kompromittiert und dekonstruiert.
Ja, hier könnte man eine lange Reihe von Reaktionen männlicher Künstlerkollegen, aber auch von Frauen anführen. Frauen und Ironie ist so wie Frauen und Humor nach wie vor ein Tabuthema. Der Preis dafür ist auf weiten Strecken nicht ernst genommen zu werden. Für mich ist Selbstironie eine Form autobiographischer Strategie, um subversives und dekonstruktives Potential leichter zu vermitteln. 

Apropos Vermittlung, so scheinst Du mir grundsätzlich mehr an der Darstellung der Beziehung von Dingen interessiert zu sein, die du als Pendelbewegung zwischen Realität, Illusion und Tabus verstehst, als an den Dingen selbst.
Für mich war es immer reizvoll, über die Abbildung hinaus etwas Fiktives, Irritierendes zu machen. Sehr früh habe ich begonnen, mich mit surrealistischer Literatur und Kunst zu beschäftigen und meine Arbeiten sind dann auch aus einem Wechselspiel zwischen Literatur und Lebensalltag entstanden. Es war für mich unmöglich zu zeichnen ohne ein Stück Literatur im Kopf zu haben.

Du beschreibst hier einen inneren Dialog, der sich als roter Faden, als konstitutives Element von Verbindungs- und Vernetzungsstrategien durch deine gesamte künstlerische Produktion zieht. Im Grunde spinnt der „rhizomatische" Charakter deiner Arbeit die Rezipientinnen in einen von Dir initiierten Kommunikationsprozess eingesponnen?
Ich denke, dein „Spinnen-Modell" spiegelt ziemlich exakt meine Arbeitsweise wider. Mein Interesse liegt nicht in der Darstellung der Dinge selbst. Diese werden erst spannend, wenn die zwischen ihnen existierenden Beziehungen in den Vordergrund treten.

In diesem Sinne sind ja auch die ,,Damen" als eine Gruppe von Künstlerinnen zu verstehen, die mit ihren öffentlichen Aktionen Kommunikationsprozesse in Gang setzen wollten.
Wir haben in unseren Aktionen bewußt das Publikum als Teil der Arbeit eingesetzt, um eindeutige Erkenntnisse über Darstellungsinhalte zu konterkarieren und dem Eigentlichen, dem Anderen seine Berechtigung zu geben. Damit war der Betrachter gefordert.

Ist dabei die einzelne künstlerische Position zugunsten der kollektiven Idee in den Hintergrund getreten?
Bei den ,,Damen" ging es darum, ein gemeinsames Statement zu vermitteln. Das erforderte, dass die Einzelne hinter das Anliegen des Kollektivs zurücktrat. Wie haben das durchaus auch als Alternative zum Mythos des männlichen Machers in der Kunst verstanden, der noch heute kultiviert wird.

Wie würdest du, im Vergleich zu den 1970er Jahren, die Rezeption von weiblichem Kunstschaffen heute beurteilen?
Ich denke, dass Künstlerinnen in Österreich erst seit dem Aufkommen der Computer und dem Boom der Musikszene von der Kritik wahrgenommen werden. Eine Problematik, die nach wie vor besteht, ist, dass für Künstlerinnen verbindliche Rollenbilder gelten. Akzeptiert wird eine Künstlerin entweder als „Girl" oder „über 60-Jährige", die Zeit dazwischen ist Schwerarbeit. Meine Generation befindet sich zwischen Elke Krystufek und Valie Export, sie erfüllt die Vorgaben nicht. 

Im Rahmen fotografischer Selbstanalysen hast du 1979/1980 begonnen, deinen Körper in deine Arbeit einzubeziehen. Bis auf die Oberfläche des Künstlerkörpers vorzudringen, war ein seit den 1960er Jahren international bekanntes Phänomen. Wie würdest du diesbezüglich die gesellschaftliche Akzeptanz in Österreich charakterisieren?
Dieses Thema war stark in der Kunstszene verhaftet, in anderen gesellschaftlichen Bereichen wurde es skandalisiert oder nicht wahrgenommen. In den USA arbeiteten die Performancekünstlerinnen zu dieser Zeit wesentlich radikaler. Ihre Auftritte waren viel professioneller. Es waren subjektive Aktionen, die nicht primär am Tabubruch interessiert waren, was in Österreich sehr wohl der Fall war. Dadurch hat sich das Publikum hierzulande auch immer bemüßigt gefühlt einzugreifen. 

Wobei die Performance-Szene in Wien ja schon in den 70er Jahren sehr dicht war und weit über die heute bekannten Namen umfasste.
Sicherlich, aber wer durchschaut schon die Regeln der Geschichtsschreibung.....alles fließt, bedingt und durchdringt einander...

Mit ihrem künstlerischen Werk hat sie uns ein Lehrstück hinterlassen, das uns zu Wachsamkeit mahnt und uns vor Augen führt, daß es in unserer Gesellschaft von weit größerer Notwendigkeit ist Fragestellungen zu initiieren als Antworten zu suchen. 
Birgit Jürgenssen reagierte als Mensch, Künstlerin, Kommunikatorin und Korrektiv auf unsere Gesellschaft wie wenige. Obwohl sie sich in dieser Gesellschaft nie wirklich wohl gefühlt hat, konnte sie ihr auch nichts übel nehmen, da kaum etwas ihren Scharfsinn mehr herausforderte. Birgit Jürgenssen starb am 25., September 2003 in Wien. Unser Gespräch blieb an diesem Punkt stehen.

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