Die zu sein scheint, die bin ich

Fotografien der 70er Jahre von Birgit Jürgenssen, Katherina Sieverding, Cindy Sherman und Francesca Woodman
Galerie Thomas Schulte, Berlin
17.09.16 bis 26.11.16

Die zu sein scheint, die bin ich

Fotografien der 70er Jahre von Birgit Jürgenssen, Cindy Sherman, Katharina Sieverding, und Francesca Woodman
September 17 – November 26, 2016

Mit der Ausstellung Die zu sein scheint, die bin ich präsentiert die Galerie Thomas Schulte Fotografien der Siebzigerjahre von Birgit Jürgenssen, Cindy Sherman, Katharina Sieverding und
Francesca Woodman.

Auf unterschiedliche Weise zeigen die Künstlerinnen, wie sie mit Selbstauslöser und Maskerade ihre Ideen in Form zu fassen vermochten. Den Ausgangspunkt für ihre Inszenierungen bilden das eigene Gesicht und der eigene Körper, die ihnen als Werkzeuge und Medium uneingeschränkt zur Verfügung standen. Obgleich die Künstlerinnen ihr Schaffen nicht zwingend in einem explizit feministischen Kontext sahen, erweiterten sie mit ihren Positionen maßgebend das Feld fotografischer Selbstdarstellungen und weiblicher Ikonografien. Dabei geht es nicht darum, einem Repräsentationsbedürfnis zu folgen. Die Künstlerinnen sind vielmehr Subjekt und Objekt der Fotografien, sind anwesend bei gleichzeitiger Abwesenheit. Sie askieren sich so, dass es nicht um sie selbst geht, sondern um die Situation, in der sie sich inszenieren. Den zeitlichen Anfang der Ausstellung bilden die digitalen Projektionen von Katharina Sieverding, die in der Unmittelbarkeit ihre Vorreiterstellung innerhalb weiblicher Selbstbeobachtungen der Siebzigerjahre hervorheben. Die Installationen zeigen eine Abfolge von frontal aufgenommenen und überlebensgroß projizierten Selbstportäts aus den Jahren 1969 bis 1973 und bilden eine Art von Resümee ihrer sehr frühen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Sieverdings Porträts reichen von den durch Solarisation in verschiedenste Charaktere verfremdeten Selbstaufnahmen aus der Entstehungszeit des Stauffenbergblocks bis zu den Transformer-Arbeiten, die in ihrer inhaltlichen Radikalität und Weitsicht die Konfrontation der weiblichen mit der männlichen Rolle aufheben und damit bereits weit über die beschreibende und notwendig kritische Suche vieler Zeitgenossinnen hinausgehen. Die heute international bekannteste Vertreterin der fotografischen Selbstinszenierung dürfte Cindy Sherman sein, deren Grundprinzip bis heute das Kostümieren und Agieren vor der Kamera ist. In ihrer 1976 entstandenen Serie Untitled (Bus Riders) schlüpft die Künstlerin in die Rolle verschiedener Passagiere. Ihre pointiert entwickelten Figuren, die stellvertretend für diverse Charaktere stehen, sind aus dem Alltagsleben entnommen und können somit als eine Art Sozialstudie beschrieben werden. Danach begann Sherman, die Untitled Film Stills (1977-1980) zu entwickeln. Für die Schwarz-Weiß-Fotografien, die an Szenen aus Filmen der Vierzigerund Fünfzigerjahre erinnern, verwandelte sich die Künstlerin in Frauenfiguren, wie sie stereotypen Vorstellungen von Männern entsprechen. Obwohl Sherman ihr Werk nie als politisches Statement verstanden hat, „gründet sich alles darin auf [ihre] Beobachtungen als Frau in der Kultur. Dazu gehört auch jene Hassliebe, von Make-up und Glamour betört zu sein und diese Dinge zugleich abzulehnen“. Ungefähr zeitgleich reflektiert die Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen in ihrem vielschichtigen Werk nicht nur die eigene Identität, sondern beginnt zugleich, kulturelle Konstruktionen von Weiblichkeit aufzubrechen und das gesellschaftlich tradierte Frauenbild auf subversive Weise zu kommentieren. In ihren poetischen wie experimentellen Polaroidaufnahmen, von denen die meisten mit dieser Ausstellung erstmals gezeigt werden, erforscht die Künstlerin ihren Körper unter Verwendung von Objekten wie Masken oder Möbelstücken. Den Bildausschnitt wählte Jürgenssen oftmals so, dass nur Körperfragmente zu erkennen sind, oder bearbeitete die Aufnahme des Gesichts während des Entwicklungsprozesses derart, dass es verzerrt wurde. Diesen Arbeiten sowohl ästhetisch als auch inhaltlich verwandt sind die kleinformatigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Francesca Woodman. Im Zeitraum von gerade einmal neun Jahren schuf die jung verstorbene Künstlerin ein außergewöhnliches fotografisches Werk. Ihren zumeist nackten Körper inszenierte sie in Beziehung zu den Gegebenheiten der Räume. Wenn sich die Künstlerin vor sich ablösenden Tapeten und bröckelndem Putz, mit Spiegeln und Rahmen fotografiert, evoziert sie damit nicht nur die Fragilität des eigenen Körpers, sondern lässt wie auch Birgit Jürgenssen surrealistische Bildstrategien anklingen. Während sich Jürgenssen für ihre Serie zum Thema Der Tod und das Mädchen mit der Maske ihres eigenen Gesichts in Szene setzt, fotografiert sich Woodman neben einem dunklen Abdruck ihrer Silhouette, den sie auf dem mit Mehl bestäubten Boden hinterlassen hat. Der performative Akt, der dem Moment der Aufnahme vorausgegangen ist, wird durch das eigentliche Selbstporträt eingefroren und gleichsam durch ihr Dasein bezeugt.

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