Martin Bieri
Der Dandy behält seine Eleganz auch in der Krise
Der Bund, 2020-10-22

Die Kunst der Dandys besteht darin, aus wenig viel zu machen. Die Kunsthalle macht viel aus viel: eine anregende, aber nicht enden wollende Ausstellung über das Dandytum.

Alle «Jungen und Mädchen» ihres Alters spazierten Hand in Hand durch die Strassen, sang Françoise Hardy 1962 in ihrem ersten Hit. Alle Jungen und Mädchen, nur nicht sie: «Mais moi, je vais seule par les rues, l'âme en peine / Oui mais moi, je vais seule, car personne ne m'aime.» Das Chanson der damals 18-jährigen Hardy war eine brave Coming-of-Age­Hymne jenes Teils der Yeye-Generation, dem die Beatmusik zu wild war. Es wurde zum Klassiker und Hardy sowieso.

Von Hardy ging eine solche Faszination aus, dass sie in London nur - allein? - eine Strasse entlangzulaufen brauchte, um für den Film engagiert zu werden. Als Bob Dylan in Paris war, weigerte er sich, aufzutreten, bevor er sie nicht gesehen hatte. Und als die japanische Designern Rei Kawakubo 1969 beschloss, ein avantgardistisches Label zu gründen, das nicht nur die Grenzen zwischen Männer- und Frauenmode, sondern auch zwischen gutem und schlechtem Geschmack sprengen sollte, berief auch sie sich auf Hardy: «Comme des Garçons». mehr

Verschönern, nicht optimieren
Kawakubos Kleider stehen längst in den Museen, und auch in der Kunsthalle sind zurzeit Kreationen von «Comme des Garçons» zu finden - in Abbildungen und wie als verborgener Dresscode für die Ausstellung «No Dandy, No Fun» in der Berner Kunsthalle. Wie sieht er denn heute aus, der Dandy, diese Personifizierung von Witz, Eleganz und Inszenierung, diese Verkörperung überlegener Nonchalance?

Die «female sapeur» aus Brazzaville, die übergut angezogenen Gentlewomen aus den Armenvierteln der Hauptstadt der Republik Kongo, tragen «Comme des Garçons». Sie repräsentieren den «Black Dandy», dem die Ausstellung einen Raum widmet. Und auch die wunderbar zeitlos wirkenden Zeichnungen von Kai Althoff haben Hans­Christian Dany und Valerie Knoll, die die Schau kuratiert haben, so gehängt, dass sie die jüngste Herrenkollektion von «Comme des Garc;ons» spiegeln, deren Präsentation als Video gleich vis-a-vis läuft.

Der Dandy strebt nicht nach Identität, sondern nach erhabener Eleganz in der reinen Eigenschaftslosigkeit.
Vier Stichworte gibt die Berner Ausstellung: Blick, Maske, Scheitern und - was naheliegt - Anzug. Stichwortgeber ist der angeblich Erste aller Dandys, George Bryan «Beau» Brummell. Er kombinierte den Frack des Adels mit der gerade geschnittenen Hose der Arbeiter und machte so mit Eleganz wett, was ihm an Herkunft fehlte. Virginia Woolf schrieb über ihn, über seinen durch expressives Understatement erreichten Aufstieg und seinen von Gerüchten und Schulden begleiteten Fall.

Der Text ist in der Kunsthalle als Audioinstallation zu hören. Er ist eine von vielen Abhandlungen zum Dandytum, die die Ausstellung zitiert. Hauptsächlich in Form von ausgestellten Büchern in Vitrinen, sodass Titel und Covers zu Argumentationssträngen werden.

Knoll und Dany, der im theoriegehärteten Nautilus-Verlag über Mode, Drogen und Kybernetik publiziert, wollen die Spur der vor allem literaturgeschichtlich nachgewiesenen Figur des Dandys in der Kunstgeschichte weiterverfolgen. Das ist leidenschaftlich trocken und feinsinnig verschwenderisch. Wer die Sache vertiefen will, wird ein paar Dinge nachlesen oder auf die angekündigte Begleitpublikation warten müssen. Ohne Anstrengung wird das Publikum hier nicht zum informierten Dandy, mit dem die Ausstellung spürbar sympathisiert, auch wenn sie selbst dessen Geschmeidigkeit nicht ganz erreicht.

Fechten für Frauen, Geld für die Linke
Anregend ist sie trotzdem, bisweilen aufregend sogar - in Geschichten wie jener von Julius Soubise zum Beispiel, einem freigelassenen Sklaven aus der Karibik, der dank der Protektion einer Herzogin zu einer extravaganten Berühmtheit der Londoner Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts wurde, sich nach Indien absetzte und eine Fechtschule für Frauen und Männer eröffnete. Soubise perfektionierte die Kunst des Dandys, aus wenig viel zu machen.

Oder derjenige von Gerard Lebovici, dem Impresario des französischen Kinos und gleichzeitigen Financier der radikalen Linken und der Situationisten. Seinen Verlag «Champ Libre» nannte er die «Gallimard der Revolution». Als 1979 der französische Staatsfeind Nummer 1, der Bankräuber und Mörder Jacques Mesrine, dessen Schriften bei «Champ Libre» erschienen, von Spezialkräften zur Strecke gebracht wurde, adoptierte Lebovici dessen Tochter. 1984 fiel Lebovici selbst einem ungeklärten Verbrechen zum Opfer.

Das alles heisst nicht, dass es in der Kunsthalle keine Kunst zu sehen gäbe. Ein eigens rekonstruiertes Werk von Lutz Bacher taucht den Oberlichtsaal West in schimmerndes Katzengold, falsches Gold, reine Oberfläche, hauchdünne Folie, zerbrechlich wie die Aura des Dandys, der, wie Knoll und Dany klarmachen, «vor allem in der Grammatik ein Mann ist, was auch immer das sein soll». Oder ein Video mit Malerei von Andrea Fraser, in dem die Performance-Künstlerin eine Tischrede von Martin Kippenberger nach- und die Reaktion des vor Anspannung und Langeweile stöhnenden Publikums ausstellt.

Der Dandy braucht keine eigene Meinung, die er mindestens als Makel, eigentlich aber als Leiden betrachtet. Er strebt nicht nach Identität, sondern nach erhabener Eleganz in der reinen Eigenschaftslosigkeit. Vielleicht tritt er darum bevorzugt in Krisenzeiten auf. Wenn andere sich streiten, schweigt der Dandy und ist, was dann am schwierigsten ist: schön.

Verschwinden im Moment
Wie aber passt die impulsive Grossmäuligkeit Kippenbergers zu der analytischen Innerlichkeit eines Stanley Brouwn, der in dieser Gruppenausstellung, dank der Sammlung des Berner Künstlers Heinz Brand, diskret, aber gehaltvoll vertreten ist? In welcher Weise sind sie beide Dandys? Brouwn verschleiert seine Persona bis zur Unkenntlichkeit, hat sich und der Welt mit «1 m / 1 step» aber ein eigenes Masssystem, basierend auf seiner persönlichen Schrittlänge, gegeben. Seine Kunst besteht unter anderem darin, sich von zufälligen Passanten den Weg zu ihm unbekannten Zielen weisen zu lassen. Mit diesen «This way Brouwn» genannten Botengängen ins Nirgendwo macht der aus Surinam stammende Brouwn ganz beiläufig koloniale Muster sichtbar, sich selbst aber unsichtbar.

Es ist wie bei der selbst völlig anstrengungslos scheinenden Frarnçoise Hardy. «Je vais seule par les rues», dieser Seufzer existenzieller Einsamkeit ist umgekehrt Ausdruck einer inneren Freiheit, für die der Dandy als Sehnsuchtsfigur steht: kein Händchenhalten, keine Zukunftsträume, nur das Verschwinden im Moment und im Blick der anderen.

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