Sonja Eismann
Die unbekannteste bekannte Künstlerin

Die Wienerin Birgit Jürgenssen wäre am 27. November 60 Jahre alt geworden. Die Sammlung Verbund widmet der vielfältigen Künstlerin der feministischen Avantgarde eine Ausstellung.

Über Birgit Jürgenssen kursiert die – so traurige wie überwältigend sympathische – Anekdote, sie habe einmal einen ganzen Tag mit dem Super-Kurator Harald Szeemann (verantwortlich für die epochale Documenta 5 im Jahr 1972) verbracht. Statt ihn in ihr eigenes Atelier zu führen, um mit der Aufmerksamkeit Szeemanns den internationalen Durchbruch zu schaffen, habe sie ihn mit zwei ihrer Kunststudentinnen zusammengebracht, damit diese ihm ihre Arbeiten präsentieren konnten.

Wahrscheinlich lag es auch an dieser Zurückhaltung und Schüchternheit, dass die Wienerin Birgit Jürgenssen, eine der wichtigsten Vertreterinnen der feministischen Avantgarde, vor ihrem frühen Tod 2003 nicht die gleiche globale Bekanntheit erreichte wie beispielsweise ihre Kollegin Valie Export. Vielleicht war es auch ihre Weigerung, sich auf nur einen Stil oder eine Technik festzulegen, der dazu führte, dass sie nicht als simple "Trademark" funktionierte. Ende der 1960er Jahre in Wien in der Grafik-Meisterklasse an der Hochschule für Angewandte Kunst klassisch geschult und als Uni-Assistentin Maria Lassnigs und Arnulf Rainers weitergebildet, hatte sie feine Bleistiftzeichnungen genauso im Repertoire wie Fotografien (plus Polaroids), Aquarelle, Collagen und skulpturale Objekte. Die Sammlung Verbund zeigt jetzt rund 40 neu aus dem Nachlass angekaufte Werke, die diese Vielfältigkeit widerspiegelt. mehr

Weit davon entfernt, monothematisch zu sein, liegt Jürgenssens Werk doch fast immer eine Kritik gesellschaftlicher Zwänge und Rollenzuschreibungen zu Grunde. 1975 ist ein markantes Werk von ihr in der von Valie Export kuratierten Schau "MAGNA – Feminismus: Kunst und Kreativität" ausgestellt: die "Hausfrauen-Küchenschürze" (ph1578). Auf diesen beiden Fotos sieht man die Künstlerin mit einem um den Hals gehängten Herd, aus dessen Ofenluke ein Brot ragt – der "Braten im Ofen" und Phallus zugleich.

Oft bedient sie sich auch der Ironie, indem sie z.B. Redewendungen ganz wörtlich nimmt. In den bunten "Hausfrauen"-Zeichnungen aus den 1970er Jahren (z402) putzen die domestizierten Frauen mit dem verächtlich für "schwache" Männer benutzten "Waschlappen" den Boden auf. In "Gretchen von Faust" (ph1541) ist ein ausgestreckter Frauenarm mit einem Stöckelabsatz "bewaffnet". In der Fotografie "Nest" (ph761) wird die Vorstellung von Geschlecht, Reproduktion und Haushalt vervielfacht und damit ironisch gebrochen: Auf der S/W-Fotografie sieht man den Unterkörper eine Frau in einem Teppich"nest" sitzen, zwischen den Beinen ein Vogelnest, in dem – in Anlehnung an das männliche Geschlechtsteil – zwei Eier liegen. "Für mich ist Selbstironie eine Form autobiographischer Strategie, um subversives und dekonstruktives Potential leichter zu vermitteln", so die Künstlerin.

Schon früh benützte sie auch Strategien der Maskerade und Fragmentierung, die in feministischer und dekonstruktivistischer Kritik so wichtig wurden. Auch das Motiv der Tier-Werdung war in ihren Arbeiten wichtig. Im Foto-Selbstportrait "Selbst mit Fellchen" (ph679) (1974) z.B. ist ihr Gesicht so von einem Fuchsfell bedeckt, dass sie wie ein Hybrid aus Tier und Mensch erscheint. Peter Weibel, deklarierter Jürgenssen-"Fan", verortet die Künstlerin folgendermaßen:

"Birgit Jürgenssen ist das Missing link, das endlich entdeckt wird, für die Geschichte nicht nur des österreichischen Feminismus zwischen Maria Lassnig und Valie Export, sondern auch für die internationale Bewegung der Frauenkunst von Francesca Woodman bis Cindy Sherman. (...) Birgit Jürgenssen stellt eine zeitgenössische Position dar in Fortsetzung von Meret Oppenheim und Louise Bourgeois."

Also: Wer die Künstlerin bis jetzt noch nicht kennt oder (wieder) Werke von ihr sehen möchte, sollte schleunigst in die Sammlung Verbund eilen. Aber Achtung, die Sammlung ist nur nach Voranmeldung (per E-Mail) mittwochs um 18 Uhr zugänglich. Dafür gibt es aber auch eine profunde Kunstführung dazu – alles gratis.

Anlässlich der Ausstellung ist auch ein umfangreicher Katalog erschienen: Birgit Jürgenssen. Hrsg. von Gabriele Schor und Abigail Solomon-Godeau. Hatje-Cantz, 296 S., ca. 39,80

Am 11.12.09 findet in der Wiener Akademie der Bildenen Künste das Symposion "Mapping the Margins. Birgit Jürgenssen im Kontext" statt.

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