Ruth Horak
FEMINISTISCHE AVANTGARDE Kunst der 1970er Jahre aus der SAMMLUNG VERBUND
In: Eikon #90, 2015

“How does it feel to be a sex object” könnte groß an der Eingangswand stehen, darüber geplatzte Tinntenballons, die Lydia Schouten ausgepeitscht hat. Aber Gabriele chor Anspruch ist ein anderer. Seit gut zehn Jahren steht sie  der Kunstsammlung des Verbunds vor und hat eine Programmatik erarbeitet,
die nun In konzentrierter Form vorliegt: femini. ti ehe Avantgarde. Der'Jitel
mag plakativ wirken - doch warum so llen Frauen immer zurückhaltend sein?
chor wei t mil diesem Vorstoß auf eine Uic:ke in der Kunstge chichte hin.
Fokussi ert auf Künstlerinnen, die eit den späten t 960ern der männlichen
Dominanz im Kunstbetrieb sowie der Funktion der Frau als Motiv und
Muse wider. prechen, sind Ausstellm1g und Katalogbud1 eher musenl und
seriös angel gt.
1 0 Werke von 34 Ki.in llerinnen rep räsentieren die ze nt ralen
·111emen ~es Aufbegehrens: das Misstrauen gegenüber den gesellschafrlich
festgelegten Rollen der Frau (Birgit Jürgens en, Karin Mn k, Martha Wilson),
der Argwohn gegenüber Schönheit und Makellosigkeit, die der Frau als Attribute
aufgebürdet wurden (Ewa Partum), der sexualisierte, der verkaufte1 der
.ilternde Körper. Nina Hagens Worte pringen mir ins Gedächtnis: .Warnm
soll ich meine PAid1t als Prau erfüllen? Für wen? Für die? Für dich? Für mich?
Ich hab keine Lust, meine POid1l ZLl erfü llen !"1
'elb treflexion, eine subversive In terpretation der Norm und die
Arbeit mit und am eigenen Körper treten <tls lethoden hervor. Manche der
iiberwiegend perfo1mativen lnsze niern ngen waren für ein Kunstpublikum,
m:mche für arglo e Passanten, die meisten jedoch fiir die K:11nera1 denn im
elb tportrait kann die Künstlerin die Darstellung und damit den Akt des ßlicken
elbst bestimmen. Es ve rmittelt den ungefiltertcn Ei ndruck der eigenen ituation
und Identität. Fotografie war in den 1970ern als künstkrisd1cs Medium
weitge hend unbelastet und durch die Möglichkeit des elbstauslösers auch ein Werkzeug, das eine Unabhängigkeit vom Blick der anderen garantierte.
Die Kün tlerin zeigt ich uns im Augenblick der Arbeit, wie ie gesehen
werden will In der körperlichen Präsenz sind Mut und · hnm ofr glei hzeitig
spürbar. Der weibliche Körper, der so lange lotiv der männlichen Kunstgeschichte
war, wird nun ganz andcr ·, d.h. authentisd1 verwendet und zum
chlachtfcld, auf dem mit Erwartungen und Re lriktioncn aufgeräumt wird.
Nicht immer können die aus heutiger Si ht zurückhaltenden Foto grafien
die damalige Radikalität vermitteln. Aber auch da Kun tpublikum
der Zeit, das mit der Drastik solcher Aktionen wenig vertraut war, verdient
Na h icht: Ein ßlkk auf die Zu chauerreihen in Renate BerLlmanns Sc/111tat1·
gcr~ Bm11t /111 Rollst11lrl läs t erkennen, wie ver törend lie Aktion gewe en sein
muss. Mit Nacktheit scheint da Publikum besser umgehen 7.u können.
Allerdings wird der entkleidete weibliche Körper doch vornehmlich von
jungen Künstlerinnen, die sich ihre Körpers ni ht ·chämcn müssen, eingesetit.
Die wenigen Au nahmen - Hann:1h Wilke stellt ihrem vormals makellosen
Körper den Verfull gegenüber - bestätigen die Regel. Und ein einziger
sexualisierter männlicher Körp r, den Lili Dujourie verantwortet, bricht die
Kontinuität der Sujets.
Die femini ti ehe Bewegung der 19 OerJahre liegt lange ·wrück.
Unter den heute jungen Frauen ist längst eine Unbekümmertheit ausgebrochen,
vor der Schouten jedoch warnt: . 'olangc Frauen versuchen, Männem
zu gefuJlen, i t das Bild, das sie von sich haben, nicht ihr eigenes Bild, sondern
ein von Männern be limmle .•2 Um o bereichernder ist e , von den Künstlerinr1en
elbsL die Weil !er 19 Oer gc hildertzu bekommen, um zu begreifen,
wie selbstver 'tändlid1 die pat.riard1ale Weltordnung war und wie sich die
tabubrechenden Performances angefühlt haben könnten. •

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