Barbara Gärtner
Viel mehr als bloß der Schuhtick: Birgit Jürgenssens Feminismus in Wien
In: Monopol 2/2011, S. 103.

Vor sieben Jahren ist die unbekannte Avantgardistin gestorben. Scheu soll sie gewesen sein. Anders als Valie Export, die im Wien der 70er-Jahre zeitgleich ihren politischen Feminismus im öffentlichen Raum praktizierte und vor Kurzem retrospektiv im Belvedere ausstellte, pflegte Birgit Jürgenssen einen stillen, poetischen Feminismus der Selbstinszenierung und Befragung, den sie zurückgezogen im Atelier produzierte und verbarg.
Dass der Kunstwelt hier eine wichtige Position vorenthalten blieb, ließ schon die Monografie, mit der vor zwei Jahren Jürgenssens 60. Geburtstag gefeiert wurde, ahnen. Die Ausstellung demonstriert das jetzt imposant mit rund 250 Arbeiten, intim und niedrig gehängt, von denen am Eröffnungsabend selbst Weggefährtinnen sagten, sie sähen sie nun zum allerersten Mal.
Bis dahin galt Birgit Jürgenssen bestenfalls als „die mit den Schuhen". Und wenn nun die Sammlung Verbund im Bank Austria Kunstforum in Wien zur Retrospektive einlädt, sind tatsächlich in einem der hinteren, kleinen Räume Vitrinen mit Birgit Jürgenssens famosen Pumps und Sandalen aufgestellt. Sogar ein „Schuhsessel" (s15), groß genug, um sich hineinzusetzen, steht herum, an den Wänden: sämtliche böse Schuhzeichnungen. Die Schuhe, Fetische für Männer wie für Frauen, Objekte der Stigmatisierung und Stilisierung, öffnen die Tür zum heterogenen Werk an experimenteller Fotografie, Zeichnung, Objekten und Video.
Auch wer mit den akkuraten, aber spielerischen Zeichnungen wenig anfangen kann, staunt über die zarten fotografischen Inszenierungen, die Wortspielereien, die Projektionen und Installationen. Streng, im engen schwarzen Gymnastikanzug, stellt Jürgenssen die Buchstabenfolge F-R-A-U (ph1037) nach (eine formale Idee, der Jahrzehnte später sowohl Paulina Olowska als auch Vanessa Beecroft folgten) und zeigt, wie Weiblichkeit ein Konstrukt aus Bild und Buchstaben ist, dem sich der reale Körper der Frau zu fügen hat.
Der Körper, oft die bloße Haut, ist ohnehin Spielfläche der vom Surrealismus beeinflussten Kunst, sie maskiert, beklebt, überblendet ihn. „Jeder hat seine eigene Ansicht" (ph16) , steht auf Birgit Jürgenssens nacktem Rücken. Ihre eigene zeigt sie nicht.

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