Annemarie Happe
Zwischen Realem und Spiegelbildern
In: Nürnberger Zeitung, 20.10.1994.

Als der nichtsahnende griechische Jüngling Narcissos zum ersten Mal sein Abbild auf einer spiegelnden Wasseroberfläche erblickte, erkannte er darin nicht sich selbst. Unfähig zwischen Schein und Sein, zwischen Fremdem und Eigenem zu unterscheiden, verzehrte er sich in Sehnsucht nach diesem unterreichbaren, wunderbaren Spiegelbild und erhört auch nicht die für ihn real existierende Nymphe Echo, deren Liebe bis zur Selbstaufgabe geht, wenn sie im Zwiegespräch tatsächlich nur noch seine Worte wiedergibt.

Unter dem Motto "Echo im Silberstreif" rückt Birgit Jürgennsen (sic) im Schafetzky Studio die stets subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit und die Grenzen dieser Wahrnehmung ins Zentrum des Interesses. Die Künstlerin bedient sich dabei immer wiederkehrender Motive, die auf den ersten Blick bekannt und einfach darstellbar erscheinen, tatsächlich aber stets schwer faßbar bleiben: Sich ständig ändernde Wolkenformationen, mythische Engelsgestalten, Leuchtreklame in Nahaufnahme, unscharfe Schattenfiguren und Wassertropfen auf Glasplatten. Kontrapunktisch kombiniert sie diese Motive mit Wiedergaben von Kaffeetassen, Fischen, Bambis und Frauenportraits. Tatsächlich hat die Wiener Künstlerin nur deren Spiegelbilder und damit also nicht die Wirklichkeit sondern nur ihren Widerschein fotografiert. Mehrere dieser Fotoarbeiten wurden mit feinem Voilestoff überzogen, das einfallende Licht wird dadurch irrisierend gebrochen, so daß das "verschleierte" Motiv ungreifbar entrückt wirkt. mehr

Die zu einzelnen Tableaus zusammengestellten Arbeiten beziehen ihre Kraft aus den Verbindungen, die die jeweiligen Bilder untereinander eingehen und dem daraus resultierenden hohen Assoziationspotential, das sie im Betrachter freisetzen. Dieser kann Dinge und Vorgänge zum einen über die sinnliche Wahrnehmung erfassen, zum anderen beeinflussen bereits gemachte Erfahrungen und Wünsche diese Wahrnehmung und transformieren sie zu einer spezifischen Vorstellung von Realität, so daß der Blick auf diese Bilder der Wirklichkeit weniger etwas über die Dinge als über das Verhältnis des Betrachters zu den Dingen aussagt. ("Echo im Silberstreif", Schafschetzy Studio, bis zum 5. November).

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