Mareike Bannasch
Wie sieht das denn aus?!

Eigentlich hatte es am 27. März losgehen sollen. Eigentlich. Doch dann kam Corona, und auch der Start der Ausstellung „Birgit Jürgenssen. Ich bin.“ verschob sich um mehrere Wochen. Nun ist die Zwangspause in der Weserburg vorbei und somit auch der Weg zur Schau frei. „Zum Glück konnten wir die Laufzeit verlängert“, erzählt Direktorin Janneke de Vries beim Rundgang, Jürgenssens Arbeiten sind nun noch bis zum 4. Oktober zu sehen. Ein Glück, denn die erste umfassende Werkpräsentation der österreichischen Künstlerin lohnt durchaus einen Blick, am besten sogar zwei.

Rund 160 Arbeiten haben de Vries und ihre Mitkuratorin Natascha Burger vom Estate Birgit Jürgenssen in Wien zusammengestellt – per Facetime. Anders ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit im Moment nicht möglich. Geklappt hat es aber trotzdem, die Ausstellung stellt Jürgenssens Werk in mehreren aufeinander aufbauenden Themenräumen in all seinen Facetten vor, und das sind nicht gerade wenige. Zum Fundus der Österreicherin gehören nicht nur Zeichnungen, sondern auch Videos, Skulpturen, Objekte und Fotografien. Und obwohl sie so vielfältig sind, haben viele der Arbeiten eines gemeinsam: die kritische, oftmals mit bissigem Humor versehene Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau. mehr

So zum Beispiel im Werk „Hausfrauenarbeit“ aus dem Jahr 1976. Die Zeichnung zeigt auf den ersten Blick eine durchaus alltägliche Szene: Ausgestattet mit Schürze steht eine Frau am Bügelbrett, das letzte Wäschestück noch vor sich. Doch es ist nicht einfach irgendein Pullover: Fein arrangiert liegt der Gatte auf dem Brett, sein Körper bereits geplättet.

Aber ist es überhaupt die sogenannte bessere Hälfte? Im Wäschekorb liegen immerhin bereits mehrere Herren, nur noch anhand ihrer sorgsam gebügelten Hände als menschliche Wesen erkennbar. Ihr Festhalten am traditionellen Frauenbild hat sie das Leben gekostet, eine Bügelbewegung nach der nächsten. Vielleicht hätten sie sich im Haushalt mehr einbringen sollen.

Wie Männer auf Frauen schauen, zeigt sich auch in der Arbeit „Großes Mädchen“. Wie der Titel bereits erkennen lässt, blicken wir auf eine große, junge Frau mit Büchern im Arm, der Mann neben ihr mehr als einen Kopf kleiner. Ein verdrehtes Größenverhältnis, das ihn sichtbar argwöhnisch werden lässt. Wenn er sich schon mit Frauen auseinandersetzen muss, dann haben sie bitte schön kleiner zu sein. Wie sieht das denn sonst aus? Und wo wir gerade dabei sind: ein bisschen weniger belesen wäre auch nicht schlecht.

Zumindest Ersteres dürfte noch immer die Ansicht mancher Zeitgenossen sein, was Jürgenssens Kritik an solch einem Festhalten an optischen Hierarchien umso wichtiger macht. Dass Herabwürdigung und das Zementieren von Geschlechterrollen auch über Sprache funktioniert, zeigt zudem der Titel der Arbeit. Denn nicht wenige Männer greifen im Gespräch mit Frauen auf die Anrede „Mädchen“ zurück. Keine liebevolle Geste, sondern vielmehr der Versuch, das Gegenüber und ihre Argumente klein zu machen.

Die bestehenden Geschlechterrollen zu kritisieren bedeutete für die Künstlerin allerdings nicht, sich konsequent auf die Seite der Emanzipationsbewegung zu schlagen. So zeigte sie in einer Fotografie aus dem Jahr 1975 deutlich, was sie von der damaligen Ansicht hielt, dass sich eine Feministin nicht zu schminken oder in hübsche Klamotten zu hüllen habe. Den nackten Rücken der Kamera zugedreht, nutzt die Künstlerin ihren Körper als Projektionsfläche für einen mit Lippenstift geschriebenen Satz: „Jeder hat seine Ansichten“. Ein Motiv, das sehr ästhetisch, vielleicht sogar mit einem Hauch Erotik daherkommt, aber viel mehr ist: ein Plädoyer für Meinungsfreiheit und Toleranz.

Wer nun glaubt, es bei Birgit Jürgenssen nur mit einer Feministin zu tun zu haben, der irrt allerdings. So wie sie sich nicht auf eine Technik festlegen wollte, vermied es die Österreicherin tunlichst, sich in eine Schublade stecken zu lassen. Ein Beispiel gefällig? Nachdem sie sich jahrelang mit dem angeblichen, weiblichen Schuhfetisch künstlerisch auseinandergesetzt hatte, bekam sie von Zeitgenossen dem Stempel aufgedrückt, die Frau mit den Schuhen zu sein. Ein Grund, sofort mit diesen Arbeiten aufzuhören.

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