Linda Psenicnik
Gespräch mit Doris Linda Psenicnik
Wien, 21.12.1998.

Gespräch zwischen Birgit Jürgenssen und Doris Linda Psenicnik

 

Das Gespräch zwischen Birgit Jürgenssen und Doris Linda Psenicnik fand am 21. Dezember 1998 statt. Das erste umfassende Interview mit der Künstlerin fungierte als Grundlage für die Diplomarbeit von Doris Linda Psenicnik, welche an der Karl-Franzens-Universität in Graz 2001 vorgelegt wurde. Das Tonband-Interview wurde damals von Doris Linda Psenicnik transkripiert und an Birgit Jürgenssen geschickt. Die Künstlerin hat anschließend die Transkription stellenweise redigiert und mit Annotationen versehen. Für die vorliegende Monographie hat Gabriele Schor diese Änderungen aufgenommen und die Fassung behutsam gekürzt. Da dieses Gespräch ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung bestimmt war, zeichnet es sich durch erfrischende Unmittelbarkeit aus. Birgit Jürgenssen spricht spontan und folgt ihrer Intuition. Die Herausgeberinnen haben sich entschlossen, diese ungezwungene Sprache nicht nach einem normativen Konzept gleichsam zu bügeln, sondern ihr - wie Roland Barthes es nennt - die "Rauheit der Stimme" zu belassen. Das Gespräch wurde nicht von Anfang an mitgeschnitten und beginnt daher abrupt. mehr

 

Doris Linda Psenicnik: Ein Fuchsgesicht als ein Selbstportrait mit einer Fellmaske über ihrem Gesicht...

Birgit Jürgenssen: Das hab’ ich mit 18 gemacht. Die Dinge setzten sich fort, das ist wie ein Loop, das geht immer so weiter, diese Geschichten.

DLP: Du sagst du hast einen Fundus. Du machst Sachen, die sind im Fundus, die nimmst du wieder und mit denen arbeitest du weiter oder die überarbeitest du auch?

BJ: Ja. Das eine ist technisch und das andere sind gewisse Thematiken, wie dieses Spiel mit der Verkleidung, das hab ich eigentlich immer gemacht. Da war auch diese Serie von Schwarzweißfotos, für die hab’ ich Objekte angefertigt, denn oft verwende ich Stoffe, vorhandene Gegenstände und mit denen spiele ich herum. Dazwischen sind die Zeichnungen und dann gibt es die experimentelle Fotografie. Das sind so drei Punkte.

DLP: Also Zeichnung, Fundstücke bzw. Gegenstände, die du siehst bzw. entdeckst.

BJ: Ich denke mir das könnte ich für das und jenes verwenden. Es könnte aber auch sein, dass das einmal jahrelang bei mir liegt. Dann sind da meine Hefte, in die ich wirklich immer schreibe, entweder was ich gelesen habe oder Gedanken dazu.

DLP: Also ganz zwanglos...

BJ: Einerseits, aber andererseits auch da ich Sloterdijk in nachhinein gelesen habe, auch mit Blasen, Wasser und anderen Dingen, mit denen ich mich beschäftigt habe und auch Figurales...

DLP: Also auch wieder dieses schichten bzw. verschiedene Schichten, die in deinen Fotografien und Arbeiten vorkommen, wie etwa in deiner Interieurserie, wo verschiedene Schichten durch die Schatten- Lichtführung entstehen und sich auch bei näherer Betrachtung herausstellen.

BJ: Schatten - Licht ist auch eine Geschichte. Ich arbeite gerne mit natürlichem und nicht mit künstlichem Licht. Ich nütze immer die Sonne aus und benütze sie eigentlich als Scheinwerfer. Das sind Erscheinen und Verschwinden, Licht und Schatten, diese Pole.

DLP: Dieses Entziehen auch?

BJ: Ja auch. Weil ich immer sage: wenn man etwas zudeckt sieht man es eigentlich besser. Es wird sichtbarer.

DLP: Das erinnert mich an dieses Porträtfoto von dir, wo du etwas Milchiges über dem Gesicht hast.

BJ: Da habe ich nachträglich eine Folie über die Fotografie gelegt. Es gibt wieder diese zwei Ebenen. Ich gebe auch nachträglich auf Fotos etwas drauf. So wie das bei den Interieurs ist.

DLP: Probierst du eigentlich vorher aus und nimmst du was dir am besten gefällt?

BJ: Nein. Das muss sitzen. Ich kann Fotos nicht wiederholen. Ich kann Serien machen, die ich massenhaft mache, aber ich kann nicht wiederholen. Das ist mir menschenunmöglich. Das geht nicht. Das ist, weil ich sehr spontan arbeite, weil mir der Akt „So, jetzt mache ich Kunst“ einfach widerstrebt. Es geht eigentlich ineinander über. Es hat viel damit zu tun was ich lese. In den 70er Jahren habe ich sehr viel Surrealismus gelesen. Mit 17 Jahren war ich in Paris mit meinem Freund und seine Cousins haben sehr revolutionäres Theater gespielt. So bin ich zu Artaud gekommen. Das lag sehr nahe zu dem was ich vorher schon gelesen habe. Ich habe vorher z.B. „Alice in Wunderland“ gelesen. Es hat also irgendwie ziemlich gepaßt. Michel Leiris beispielsweise, Artaud, Breton, Laure, Marguerite Duras, Ethnologie und Philosophie etc. dazu auch diese Bücher von Matthes & Seitz, die gewisse Themen zusammengefassen, die mich immer interessiert haben, durch das man auf die Originalliteratur auch wieder zurückgekommen ist. Traum und Zeit von Hans-Peter Dürr, Fichte, Edgar Wind, Schule Aby Warburg, Roland Barthes, ... Ich lese das und dann fällt mir ein Satz oder irgendeine Geschichte auf und um die kreise ich mich dann ein, sozusagen, und versuche das mit meinem Alltag und mit meinen Erlebnissen auch zu verbinden. So fließt das eine ins Andere. Es hat sehr viel mit Literatur an sich zu tun.

DLP: Die Sprache vielmehr die Literatur ist also ein sehr wichtiger Aspekt in deiner Arbeit.

BJ: Die Literatur ja.

DLP: Durch mein letztes Seminar an der Uni über Marina Abramović, deren Oeuvre ich dabei näher studiert habe, sind mir Parallelen zwischen ihrem und deinem Werk aufgefallen.

BJ: Sie ist annähernd die gleiche Generation und es ist sicher, dass es Ähnlichkeiten gibt. So wie bei den Mädchen, die ich heute auf der Akademie hab. Die Themen bei den heute 18- und 20jährigen wiederholen sich im Ansatz und sind anders als bei den Burschen. Es ist idiotisch, daß ich das sage, aber es ist einfach so. Vor allem in dem Alter, wo man meistens erst richtig einsteigt. Die Mädchen experimentieren viel mehr und springen eher zwischen den Medien herum. Ein bisserl fotografieren, ein bisserl zeichnen ein bisserl „basteln“ oder irgendetwas ausprobieren, während die Burschen versuchen eine Bestätigung zu finden und eine Sache durchzuziehen.

DLP: Total „auszuloten“?

BJ: Dieser spielerische Umgang ist nach wie vor bei der jetzigen Generation der Studentinnen vorhanden, finde ich. Man sieht kaum, zwar heute schon eher oder mehr, dass Burschen Selbstdarstellungen mit 20 machen. Sie fotografieren eher das Gesicht, wenn es nicht gerade der Matthias Hermann ist, bzw. Burschen, die von der homosexuellen Seite kommen und dadurch mit dem Körper anders umgehen. Es gibt also von Männern in diesem Alter eher, wenn, Selbstportraits, während die Mädchen sehr wohl sich nackt fotografieren zu Hause, vor dem Spiegel, diese ganzen Geschichten durchspielen.

DLP: Für mich hat diese spezielle Art der Selbstpräsentation nach Außen mit der Art wie sich Männlichkeit und Weiblichkeit in der Gesellschaft repräsentiert zu tun.

BJ: Ja, natürlich. Was man auch versucht zu überprüfen, der Blick von Außen auf die Frau und dass da sich nach wie vor nicht rasend viel verändert.

BJ: Und jetzt gerade hab’ ich das Gefühl es passiert eine Art Revival mit der Performance-Kunst der 70er Jahre, die von Frauen gemacht wurde. An der Akademie ist eine Studentin aus London neu aufgenommen worden, die ein Video gemacht hat, in dem sie Zwiebel schneidet, also Haushaltstätigkeit macht, und die Zwiebel dann aufisst und weint. Oder sie nimmt einen Apfel und penetriert ihn mit einer Spritze und spritzt andere Flüssigkeiten hinein und redet auf englisch über ihre eigene Identität, fragmentarisch: „Bin ich das jetzt, oder?“

DLP: Aber so etwas hast du nicht gemacht, oder?

BJ: Das war für mich vom technischen und von meinen Möglichkeiten damals noch etwas zu früh. Ich bin eher mehr mit dem Mythos umgegangen. Ich hab’ zu diesem Zeitpunkt keine Videokamera gehabt. Ich hab’ Super8 gehabt und das mit dem Selbstauslöser, das alles funktioniert nicht so easy. Wobei ich auch sagen muß, daß für mich ein wichtiger Punkt ist, daß ich alle meine Fotos alleine mache, also mit Selbstauslöser. Es gibt nur Fotos ‘von mir’, wo ich für jemanden posiere, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Sonst sind alle Fotos mit Selbstauslöser gemacht. Weil ich es schwierig finde zu sagen: „So jetzt bitte ein Foto!“ Man sagt halt: „So jetzt mach’ ma Kunst!“ oder was immer. Das witzige war in New York vor zwei Jahren, da waren eine Gruppe von jungen Leuten, die Performances gemacht haben, parallel etwa zwanzig Leute. Es war auch eine Koreanerin dabei, die saß am Küchentisch in der Unterwäsche, hat Zwiebeln geschnitten, ein fiktives Gespräch mit der Mutter geführt, und daneben einen Papierkorb voll mit Taschentüchern stehen gehabt. Der Abend dauerte zwei Stunden lang und sie hat das so lange machen müssen (lacht). Und meine Möglichkeiten damals waren halt ein Blatt Papier und zeichnen, das sind meine, wie ich sage Alltagsillustrationen, meine „Hausfrauen-Zeichnungen“. Das ist in der Richtung ja ziemlich ähnlich. Wie ich später 1988 auch die Gruppe der Damen gegründet habe. Ich weiß nicht, ob du dich an den Kalender erinnerst? Ich zeig’ dir das jetzt einfach mal, weil meine technischen Möglichkeiten waren damals ziemlich begrenzt, das einzige war zeichnen. Ich hab’ aber schon seit 1968 inszenierte Fotografien gemacht, teilweise hab’ ich mich nicht getraut bestimmte Fotos zu machen. 

DLP: Du hast also eine gewisse Scheu davor gehabt?

BJ: Natürlich, es war nicht üblich, dass man sich selbst so fotografierte, und ich war nicht im Ausland. Wäre ich damals, weiß ich wo gewesen, hätte ich einen ganz anderen Bezug dazu gehabt. Ich bin hier ganz normal aufgewachsen, wollte Medizin studieren. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass man das so machen darf oder kann. Darum habe ich erst einmal mit den Polaroids angefangen, und die haben mir Vertrauen gegeben, weil das eine andere Art von Privatheit ist.

DLP: Du hast erwähnt, dass nichts anderes von Frauen da war...

BJ: Ja. In Amerika beispielsweise. Es hat mich deswegen immer interessiert, weil es dort viel üblicher, dass Frauen viel früher mit Medien zu tun hatten. Dort gab es schon viel früher Fernsehsprecherinnen. Die sind anders aufgetreten und haben ein anderes Selbstbewusstsein gehabt. Im deutschen Sprachraum war das nicht so einfach, und wenn man das gemacht hat, war das immer sofort ein Skandal, das ist schon ein Riesenunterschied. Während dort Künstlerinnen wie Carolee Schneemann und andere oft splitternackt aufgetreten sind und extreme Performances gemacht haben. Oder die Linda Benglis und andere. Dort hat man eine Distanz dazu gehabt. Das hat man wirklich als Kunst gesehen, als Performance, als Theater. Bei uns, wenn man so was machen wollte, dann erstens einmal an welchem Ort? In Amerika hat es Alternativspaces gegeben. Bei uns, wo führt man das auf? Und, wenn man es aufgeführt hat, war sofort die "Kronen Zeitung" da wie bei Valie Export. Auch die Thematiken waren andere, weil bei uns hat es immer, wie soll ich sagen, mit Leben, Tod und Religion zu tun. In Amerika ging es eher um Emanzipation.

[Birgit Jürgenssen zeigt eine Hausfrauen-Zeichnung]

BJ: Das hab’ ich '74 gemacht. Wenn ich mich heute, als 20jährige mit einem Kleid auf den Tisch setzen würde, das ich mir dann selber bügle, wäre das eine ähnliche Performance, wie es junge Künstlerinnen heute damit umgehen und wenn ich ein Video mach’ ist es das Video und ich brauch’ es nicht zeichnen. Verstehst du?

DLP: Also du hast einfach, weil du die Mittel dazu nicht hattest, gezeichnet.

BJ: Ja.

DLP: Du siehst deine Hausfrauen-Zeichnung quasi als eine gezeichnete Performance.

BJ: Ja. Könnte man damit heute machen. Oder schon in den 80er Jahren.

[Anm. DLP. Bei allen Bemerkungen, die die künstlerische Differenz zwischen Mann und Frau betreffen, merke ich nicht nur im Gespräch, sondern jetzt auch im Nachhinein beim Anhören des Tonbandes, dass es Birgit unangenehm ist in diesen strikten Trennungskategorien zu sprechen, aber trotzdem war es ihre Erfahrung, die sie damit gemacht hat, die sie auch heute noch macht. Aber ich denke mir, dass sie im Hintergrund immer auch Gedanken hat, wenn man so strikt über eine Trennung spricht bzw. sie als offensichtlich nimmt und als solche sieht stützt man sie auch gleichzeitig, das macht das Ganze auch so schwierig.]

BJ: Arnulf Rainer hat immer gesagt: „Frauen können nicht zeichnen und malen. Sie können sich nur durch Medien äußern.“

DLP: Das hat er gesagt? Das ist ja arg!

BJ: Ja. (lacht) Das ist eine Generation, Pichler und so, die haben alle das vertreten. Ich hab’ damals mit diesen Leuten zu tun gehabt. Da war die Galerie Grünangergasse 12 von Kurt Kalb. Da wollt ich ausstellen. Der hat damals nur Männer gezeigt, da haben Bruno Gironcoli und der Walter Pichler ausgestellt und die haben das irgendwie verhindert. (lacht) Das ist wahr.

DLP: Da muss eine Angst da gewesen sein.

BJ: Ja. Wie immer auch. Es war jedenfalls sehr eigenartig. Heute ist ja auch der Umgang noch immer nicht einfach, wenn du irgendwo bei einem Galeristen ausstellst. Das wird besser, aber nicht unbedingt einfacher.

DLP: Sehr interessant, das von dir zu hören. Man hört es zwar,...

BJ: Aber keiner spricht es wirklich aus.

DLP: Ja. Es ist auch oft so, dass sich gerade junge Künstlerinnen deutlich von diesen Dingen distanzieren. Nach dem Motto:„Mir passiert so was nicht. Ich werde nur aufgrund meiner Kunst wahr- und ernst genommen.“

BJ: Natürlich. Müssen sie auch. Ich seh’ das wirklich ein, weil indem Moment, wo sie es zugeben, sind sie schon wieder ein Opfer.

DLP: Und es wird weiter transportiert. Dadurch, dass man es ausspricht ist es definiert und als Bedeutung gegeben.

BJ: Ja.

DLP: Es steht im Raum und es ist schwierig es wieder loszuwerden. Das „Paradox Frau“. Ich denke als Frau muss man viel vielschichtiger und subtiler agieren, vor allem was von Außen gesehen, das "Bild der Frau“ bzw. das "Bild von Frau" bedingt. Positiv ist, wenn Frau es subtil einsetzen kann und damit spielt, wenn es belastet ist es negativ.

BJ: Keine Frage. Das hat mich auch immer gestört, dass es diesen Unterschied gab und gibt, früher war es extrem. Die Künstlerinnen wurden als Prototyp ernst genommen. Ungeschminkt, nur bestimmt angezogen. Wenn jemand Lippenstift getragen hat, so wie ich... Mir hat das einfach Spaß gemacht. Es hat zu meiner Arbeit dazu gehört, dass ich mir mein ganzes Zeugs fast alles selber genäht habe. So bin ich auch auf die Akademie gegangen. Ich hab meine Tigerhose gehabt, meine Hotpants und rosa Strümpfe, hab’ die Schuhe bemalt oder beklebt, hab’ aber genauso die schweren Lithosteine geschleppt. Ich war um 8 Uhr früh dort und hab wirklich fleißigst gearbeitet. Der Assistent hat immer zu mir gesagt: „Fräulein Jürgenssen, warum plagen sie sich denn so? Sie werden ja eh bald heiraten!“

DLP: Wie war das denn für dich?

BJ: Na ja, ich hab’ umso mehr gearbeitet und wollte mir das nicht nehmen lassen, weil es mir einfach Spaß gemacht hat. So wie ich auch meine Schuhobjekte dann angefangen habe, es hat mich provoziert. In der ersten Ausstellung hab’ ich ungefähr 10 Paar Objekt-Schuhe angefertigt, teilweise mit einer Schusterin.

[Leider ist hier eine Kassettenseite aus...]

BJ: [...] wie es im Surrealismus immer vorkommt und im Film, der Mann, der aus dem Schuh trinkt. Das habe ich versucht auf meine Art auf die Schippe zu nehmen. Der große Schuhsessel ist eigentlich ein Zitat von einem kleinen Mädchen, das die Schuhe der Mutter anzieht. Ein Mann würde, glaub’ ich, nie die Schuhe seines Vaters anziehen in dem Alter.

DLP: Gibt’s schon! Klein-Mädchen zieht die Schuhe seines Vaters an! (lacht)

BJ: Wenn sie passen...(lacht), um sie auszuborgen, aber nicht sozusagen um in die Vaterrolle zu schlüpfen. Während als kleines Mädchen versucht man die Mutter zu imitieren und ihre Dinge zu nehmen und anzuziehen, die sie hübsch machen, also was anderes.

DLP: Als kleines Mädchen kriegt man schon sehr früh mit, dass das Hübschsein sehr wichtig ist.

BJ: Oh ja.

DLP: Bei den Burschen scheint mir eher das Verhalten wichtiger zu sein, auch die Interessen. Die Kinder versuchen dann, denke ich mir dieses Bild zu erfüllen. Das Mädchen mit den Attributen, die es bei der Mutter sieht.

BJ: Ja natürlich. Ich bin in eine Klasse gegangen, in der wir 30 Burschen und 6 Mädchen waren.

DLP: Das spielt alles eine Rolle. Ich beschäftige mich mit der Genderforschung und zwar in Richtung auf die Identitätsbildung durch die Geschlechterrollen, die im Rahmen der Genderforschung sehr durch die Gesellschaft geprägt erscheinen. Eine männliche und eine weibliche Identität, ob es sie überhaupt gibt.

BJ: Das ist zu hinterfragen...

DLP: Der Feminismus oder die Emanzipation, wurde, wie du sagst, in Amerika viel radikaler vertreten.

BJ: Ein klassisches Beispiel wäre die Rolle der Künstlerinnen im Surrealismus. Erst langsam als die Frauen vehement als „Musen“ aufgetreten sind und zugleich selbst tolle Künstlerinnen waren, erst dann kam langsam eine gewisse Selbstverständlichkeit auf. Während Lee Krasner, die mit dem Jackson Pollock zusammen war, seinerzeit relativ akzeptiert wurde. Sie ist zwar in seinem Schatten gestanden, aber man hat sie als Künstlerin wahrgenommen.

DLP: Ja, aber hat man sie wahrgenommen, weil sie die Freundin vom Jackson Pollock war, oder...

BJ: Nein. Der Umgang nach Außen war natürlich schwierig, dadurch stand sie im Schatten, aber man hat sie sehr wohl als Künstlerin akzeptiert. Während bei uns in Europa, hat das erst sehr spät angefangen. Da gibt es furchtbare Schicksale von Frauen, die großartig waren und die man einfach ignoriert hat. Du hast wahrscheinlich die Ausstellung von Claude Cahun in Graz gesehen. Man kann nicht behaupten, dass sie damals inaktiv war. Sie war politisch tätig und einem Minikreis von Intellektuellen bekannt, aber nicht nach Außen. Und erst jetzt hat man sie entdeckt, das ist ja ein Witz geradezu.

BJ: Ich hab das Buch, das sie gemacht hat. Heißt es vielleicht Le coeur du pique? Ich muss nachsehen. Es kommen die Dinge immer so vor, dass ich etwas schon habe und dann schließt sich wieder der Kreis, durch irgendetwas von Außen her.

DLP: Ich glaube, ich weiß was du meinst. Aber um wieder zurückzukommen, findest du nicht auch, dass in Amerika das Bild der Frau, diese Präsenz in den Medien nur dekorativ und eher sexistisch ist, auch in Bezug auf die Hollywood Filme, die das Bild der biederen Hausfrau à la Doris Day vermittelt?

BJ: Ja, es ist ambivalent, mehr noch als bei uns, aber es gab andere Seiten auch. Die Mae West beispielsweise. Für mich gab es im amerikanischen Film immer auch eine andere Seite. Die Chandler Geschichten, die ich ja so liebe, wo die Frau in der Sprache, oder Dashiell Hammett, wo es Dialoge gab, in denen die Frau dem Mann ziemlich gleichgestellt war. Vielleicht nicht in der Geschichte im Drehbuch, im Ablauf der Story, aber von der Sprache her, mit dieser Art von Wortwitz, Ironie und Schlagfertigkeit.

DLP: Siehe Kathrin Hepburn und Spencer Tracy?

BJ: Ja. Aber auch Dietrich... so wie der Blaue Engel gedreht wurde. Vom Dialog waren die Frauen emanzipiert oder dem Mann gleichgestellt. Da war oft der Mann in der Sprache viel doofer als die Frau. Sie hat eine gewisse Raffinesse gezeigt, eine kleine Überlegenheit von der Sprache her in manchen Situationen.

DLP: Weil du gerade von der Raffinesse sprichst, war da nicht „das raffinierte Weib“ wieder mit einer gewissen Negativität verbunden?

BJ: Ja, darum hab’ ich mich auch korrigiert. (Beide lachen.)

DLP: In der feministischen Forschung ist ein Ansatz zu erkennen, sich von Begriffe wie „Weibliche Ästhetik“ oder „Weibliches Sprechen“ zu distanzieren. Aber in deinen Erklärungen und deinen Erfahrungen höre ich heraus, dass die sehr wohl präsent sind.

BJ: Ja, sie sind unterschwellig präsent, absolut.

DLP: Die „weibliche“ Ästhetik kann man zwar in dem Sinn nicht definieren, du findest aber, dass sie da ist.

BJ: Ja!

[...]

BJ: Ein Foto ist etwas Subjektives, es ist für mich nicht unbedingt etwas Dokumentarisches, weil man wählt den Moment, man nimmt es bei einem bestimmten Licht auf, man wählt das Sujet selber aus und die Stimmung.

DLP: Warum arbeitest du nicht mit Computer?

BJ:  Weil mir die Unmittelbarkeit im Arbeitsprozess fehlt, die Selbstverständlichkeit. Ich ärgere mich darüber. Wenn man lange genug davor sitzt, dann ist es wie in der Dunkelkammer, dann sinkt man in den Computer hinein. Aber er ist mir von den Möglichkeiten zu stur. Ein paar Arbeiten habe ich damit gemacht. Ich bin aber noch nicht glücklich damit. (lacht) Ich warte noch darauf, dass er vielleicht auf die Stimme reagiert. (beide lachen.)

[Pause - Birgit ist am Telefon]

BJ:. Film ist mir sehr wichtig und ich finde den Film für bildende Künstler wichtig. [...] Surrealismus würde ich nicht als Theorie bezeichnen, sondern eher als inspirative Poesie. Theorie ist eher diese Art von Büchern. Auch, dass ich dazwischen einen Buckminster Fuller lese oder Marshall McLuhan über die Medien ist wunderbar oder Vilem Flusser über die Gesten oder ‘Sexuality in Western Art’. Das sind Bücher, die sich in bestimmten Thematiken bewegen. Ich kaufe aber auch Bücher, weil sie einfach schön gemacht sind, wie das Buch über den Fetisch, weil das von der Typographie interessant ist. Alle Bücher sind nicht so rasend interessant, aber irgendein Element gibt es immer, das ich wichtig finde.

DLP: Also du bist eine richtige Sammlerin.

BJ: Ja. das [Anm. DLP: Wieder ein Buch. Ich hab’ eh schon vor mich hin gemurmelt. „Da gibt es ja genug Material. Na bravo.“] ist auch sehr interessant, das hat mich inspiriert ‘Sexuality and Space’*. Darin gibt es einen Aufsatz über "Domestic Voyeurism", worin Le Corbusier Adolf Loos zitiert und darin kommt das vor mit dem Zimmer der Dame, das sind ja meine Interieurs. Weil Adolf Loos hat das Zimmer der Dame erfunden und zwar wo sie mit dem Sofa unter dem Fenster sitzt und in den Raum hinein blickt und der kultivierte Mann schaut schon überhaupt nicht aus dem Fenster hinaus. Darüber hab’ ich nachgedacht und so bin ich zu dieser Arbeit gekommen.

DLP: Sind deine Fotografien alle Selbstporträts?

BJ: In meine Buch "Früher oder Später" bei meinen Selbstdarstellungen, das müsste man gar nicht dazu sagen, weil es völlig uninteressant ist, ob das ich bin oder nicht ich bin - da geht es mir gar nicht so sehr um die eigene Person, das eigene Erscheinungsbild. Wenn man genau schaut in den Buch, dann sieht man mich bei fast allen Arbeiten nie als Person mit meiner Identität. Es ist ein Frauenkörper, es könnte irgendjemand sein.

DLP: Meinst du auch die Fotos im Buch mit Lawrence Weiner, wo auf deinem Körper die Projektionen sind?

BJ: Da weiß man nicht, ob das ich bin. Das war mir überhaupt nicht wichtig. Mir war eher der Inhalt wichtig und nicht so sehr, ob ich jetzt als Ich wahrgenommen werde. Darum habe ich oft Masken, wenn ich mit meinem Gesicht drauf bin oder ich bin bemalt, um die Identität mit meiner aller eigensten Privatheit zu verwischen, weil mir der Inhalt schon heavy genug war.

DLP: Es geht dir nicht darum, dich als Person durch das Maskentragen zu entziehen, sondern einfach als Projektionsfläche, aber nicht du, sondern Körper oder Haut und Frau.

BJ: Ja, als Projektionsfläche und (Zeichen) Frau.

 

 

* Beatriz Colomina (Hrsg.): Sexuality & Space (New York: Princeton Architectural Press 1992).

zum Anfang