Heidemarie Seblatnig
Birgit Jügenssen. Interview
In: Heidemarie Seblatnig, Einfach den Gefahren ins Auge sehen. Künstlerinnen im Gespräch. Wien, Böhlau, 1988. S 158-161.

1. Welche Motivation war ausschlaggebend dafür, Künstlerin zu werden?
So wie ich mich erinnere, habe ich mit acht oder neun Jahren angefangen, Geschichten zu zeichnen und benützte dazu die nicht ausgeschriebenen Schulhefte meines Bruders. Im Freundeskreis meiner Eltern waren einige Künstler und Lebenskünstler. Die Geschichten, die sie uns von ihnen erzählten, bzw. von der großen Picasso-Ausstellung damals in Paris, und ein Paul Klee- Buch zuhause, haben in mir große Neugierde erweckt, so daß ich versucht habe, einfach alles, was mir damals thematisch gefallen hat, nachzuzeichnen. Mit vierzehn erhielt ich meine erste halbautomatische Kamera und fotografierte damit fast ausschließlich kleine Gegenstände, die ich vorher selbst anfertigte. Meist sollte alles in einem Farbton gehalten sein. Zunächst dachte ich mir, ich mache nach der Matura irgendetwas mit Zeichnen und nachher studiere ich Medizin. mehr

2. (Geschlechtsspezifische) Förderung in Elternhaus, Schule, Akademie etc.?
Dann bin ich überraschenderweise ohne Grundstudium in die Meisterklasse von Prof. Herberth an die Hochschule für angewandte Kunst gekommen.

3. Fördernde und hemmende Einflüsse von Lehrern, Kollegen, Partnern?
Sein Vertrauen zu meiner Arbeit hat mich stolz gemacht und ich habe mich dann umso mehr bemüht.

4. Auswirkungen des Berufes auf Partnerwahl, Eheschließung, Kinderanzahl?
Das Problematische, aber auch deshalb Interessante am Künstlerberuf ist, daß ein Künstler das wiedergibt, was er aus der Summe seiner Erfahrung und Wissenserkenntnis für seine Person gelernt hat. Dies ist aber keinen Gesetzen, Grenzen und Kontrollen unterworfen. In allen anderen Berufen ist man gezwungen, sich an vorgegebene Richtlinien zu halten, die einem System entsprechen. Ich habe Bände wie Die Kunst der Zeichnung, Die Kunst des Aquarells, Die Kunst der Fotografie illustriert. Für ein von mir als gesamtes gestaltetes Buch erhielt ich später den Preis für das schönste Kunstbuch in Leipzig. Kleinere Illustrationsaufträge für Werbezwecke führte ich für eine Werbefirma aus. Nach Abschluß der Akademie reichte ich sofort um ein Stipendium für New York, Berlin oder London ein. Für alle drei erfüllte ich die Bedingungen positiv. Doch dann nahmen sie in dem betreffenden Jahr für New York und Berlin keine Künstler, sondern nur Wissenschaftler, für London war ich ein Jahr zu jung. So konnte ich leider nicht ins Ausland gehen. Da ich irgendeine Änderung wollte, habe ich spontan geheiratet. Er war Bildhauer, und so stellte ich mir das Ideal vor. Jeder hätte seinen Bereich und soweit wie möglich hilft jeder dem anderen ergänzend. 

5. Wird die künstlerische Tätigkeit hauptberuflich oder nebenberuflich (z.B. Hausfrau, Kunsterzieherin etc.) ausgeübt?
Nebenbei habe ich meine Illustrationen gemacht und auch in der Ordination meines Vaters ausgeholfen. Nach acht Jahren begann die private Lage etwas angespannt zu werden. Auf Forderungen hin suchte ich eine Arbeit. Zufällig traf das mit zwei Angeboten von Maria Lassnig an der Hochschule für angewandte Kunst und von Arnulf Rainer an der Akademie der bildenden Künste zusammen. Da ich die Arbeiten von Lassnig sehr schätze, begann ich dort 1980/81 mit 15 neuen Schülern als einzige Lehrbeauftragte. Die Zusammenarbeit mit den Schülern war einmalig, mit Frau Lassnig gab es Mißverständnisse. 

6. Ist das Atelier außerhalb oder innerhalb der Wohnung? Kein Atelier? Regelmäßige Arbeitszeiten? Materialbeschaffung? Zugang zu technischen Einrichtungen, Werkstätten?
Mit meinem Exmann besitze ich noch ein gemeinsames Atelier im 10. Bezirk in einem Fabriksgebäude, wofür ich auch die halbe Miete bezahle. Es ist aber für mich nicht einfach, es zu benützen. So muß ich, wenn ich große Arbeiten, oder Arbeiten in der Dunkelkammer mache, immer improvisieren, was nicht so stört, aber viel Zeit kostet.

7. Präsentationsmöglichkeiten: Ausstellungen, wo, wie häufig? Biennalen, Kunstmessen, Bindungen an Galerien? Beteiligung an Ausschreibungen, Erwähnungen in Lexika, Funktionen in Berufsverbänden, Berufungen in Jurien etc.? (im Vergleich auch zu männlichen Kollegen)
Obwohl ich schön langsam das Bedürfnis verspüre mit weniger materiellem Aufwand mehr zu entwickeln. So wie mich das Experimentieren viel mehr interessiert, als sich ein Markenzeichen auszudenken, daß man am Kunstmarkt leichter erkannt und dadurch besser gehandelt wird. Da das Sehen des Betrachters ein Sehen als ist, nämlich halb Seherlebnis, halb Denken, muß man einen allgemeingültigen Code finden, der eine Identifizierung zuläßt. Das heißt, ein Bild muß verstanden werden können.

8. und 9. Bewertung der Bedeutung von Interessensvertretungen? Beurteilung des gegenwärtigen Kunstbetriebs?
Anfang der siebziger Jahre hat die Frauenbewegung auch in Österreich Bedeutung bekommen. Einige haben sich am Beginn dafür stark gemacht und darüber geredet, daß man viel öfter Künstlerinnen in Galerien präsentieren müßte. Dann waren einige dieser Frauen plötzlich Galeristinnen und alles war vergessen. Die Kunst der ganz Jungen war aktuell. Der Kunstbetrieb, da hat sich für Künstlerinnen nichts Wesentliches geändert. Betrachtet man die Zusammenstellung der letzten großen internationalen Gruppenausstellungen wie Biennalen, Documenta, Zeitgeist, Chambre des amis, sowie eine Ausstellung im November 1986 über den androgyn (Berlin) - kaum Künstlerinnen! Zum Teil hat es damit zu tun, daß die internationalen Ausstellungsmacher im Alter von 45 bis 55 quer durch Europa Relikte der 68er Generation sind, die ein gewisses männerbündlerisches Verhalten und dementsprechende Sentimentalität haben. Die vielen Galeristinnen passen sich auch nur diesem allgemeinen Kunsttrend an. Da ist die Eule der Gerechtigkeit noch immer verschleiert. Ich finde es gut, wenn es aktiven Feminismus gibt als Parallelaktion. Doch glaube ich nicht, daß man ihn benützen sollte, um Karriere zu machen. Es ist notwendig, einfach überzeugende Arbeit zu leisten. Vielleicht müssen Künstlerinnen zuweilen artistischer reagieren.

10. Persönliche Rezeption der Rolle der Künstlerin?
Das hat damit zu tun, daß man die Frau in die Nähe des spontan unmittelbaren Prozesses der Natur rückt und nicht zu den rationalen Prozessen und Institutionen der Kultur.

11. Einschätzung der weiteren beruflichen Laufbahn?
Vielleicht muß man Vorurteile und Tabus brechen, so wie Sade sagt, daß immer nur soviel Glück möglich ist, wie Verbote zu brechen sind, und alles Glück aufhört, wenn man ihm sein Unrecht nimmt.

12., 13. und 14. Ist im Bewußtsein der Frauen das Schöpferischsein (das ohne Vorbild ist - keine weiblichen Genies) eine Lebensqualität, oder ist die Kreativität (Genialität) grundsätzlich eine Domäne der Männer? Wird das gesellschaftlich immanente Leistungsprinzip als wesentliche Antriebsfeder empfunden? Was wird als Erfolg betrachtet?
Die persönlichen Leistungen sind es, die zählen. Letzten Endes bleibt nur die gute Zeichnung, das gute Foto, die gute Arbeit. Erfolg ist, wenn man selbstverständlich als Künstlerin in gute internationale Großausstellungen hineingenommen wird, oder eine Einzelausstellung in einer guten Galerie im Ausland hat. Zynisch: Erfolg ist der Verkauf. Das Bild des Kunstbetriebes nach Außen ist geblendet von Geld und Macht und vielfach verfälscht. Die wirklichen gegenwärtigen Bestrebungen bekommt das normale Publikum kaum zu Gesicht. Derzeit getraut sich niemand Nichtverkaufbares zu zeigen. Es ist wirklich ein Geschick, an verschiedenartigsten künstlerischen Erfahrungen nur von Außen zu rühren ohne sich tiefer einzulassen. Ich wünschte, es würde mehr echte Sammler und weniger Spekulanten geben; auch keine Trennung von goldenen und normalen Vernissageeinladungen, und man würde zurückkehren zum Abfall und Lumpensack des Herzens(Yeats). Noch suchen wir im Milchtopf der Dreieinigkeit Käufer-Galerist-Künstler. Vielleicht gibt es aber eine Trennung von art-business und dem, das einen Inhalt hat, und eine neue geistig-künstlerische Bewegung ist. 

15. Bedeutung des Feminismus im Leben der einzelnen Künstlerin.
Die Problematiken und Fragen in der feministischen Bewegung in den Siebzigern, haben sich zu denen der Achtziger gewandelt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich heute Frauen in allen Bereichen der Kunst ausdrücken, ist eine andere, eine positive. Das hat auch mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, da sich das Rollenbild der Frau geändert hat. Heute ist es fast selbstverständlich, daß die Frau arbeitet, und, wenn sie will, auch Kinder bekommt und trotzdem ihren beruflichen Vorstellungen nachkommen kann. Es ist die Situation der Ansicht, was Frauen tun sollten, nicht mehr so zwanghaft. Sie treffen ihre Entscheidungen über ihr Leben selbst, ohne Rücksicht auf die Umwelt nehmen zu müssen. Frauen können einen Modus des Sehens und Denkens für sich in Anspruch nehmen, der sich in ihrer Körpererfahrung gründet. Wie sie eine eigene Sicht ihrer Verhältnisse zur Natur zum Ausdruck bringen können, so wie das Streben zur Ganzheit zur geistigen Suche der Frau gehört. 


Mai 1986

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