Birgit Jürgenssen
Selbst hartgesottene Wissenschaftler...
unpubliziert

„Es ist viel im Geist, was nicht Gehirn ist“. Sir John Eccles (Nobelpreisträger Medizin 1963)

 Selbst hartgesottene Wissenschaftler meinen, der neuronale Schaltplan des Gehirns müsse aus Gründen der Kombinatorik unzugänglich bleiben. Damit auch das letzte Verständnis der assoziativen Fähigkeiten des Gedächtnisses. Es gibt die Schwierigkeit, die noch stumme Erfahrung zur Aussprache ihres eigenen Sinnes zu bringen. „Who’s been sleeping in my brain?“(Judith Ammann 1987).

Ein künstlerisches Selbstbewusstsein ergibt sich durch das Ausloten von Struktur, Ablauf und erkenntnisgewinnender  Prozesse des Umfelds. „Wie erfährt man sich im Anderen, das Andere in sich?“

 In Don DeLillos Roman Mao II sieht ein genervter Vater, Karens Daddy, bewaffnet mit einem Feldstecher, und seine neben ihm sitzende Ehefrau Maureen, beide auf der Tribüne eines gigantischen Stadions, ihre Tochter als eine von 13.000 Heiratskandidaten an der Seite eines jungen Koreaners, den sie vor zwei Tagen kennengelernt hat, in das Stadion einmarschieren, um den Segen des Sektengründers Mr.Moon zu erhalten, womit die Ehe geschlossen ist. Die Tochter sagt zu dem neben ihr gehenden zukünftigen koreanischen Ehemann „das ist das Yankee-Stadion“, der Vater auf der Tribüne sagt zu seiner Ehefrau „Ich habe dir schließlich vorgeschlagen, zu Hause zu bleiben“. Die Bräute und Bräutigame tauschen Ringe und Gelübde. „Die Zukunft gehört den Massen“, die Ich-AG bleibt nicht intakt. mehr

Als Peter Weiss 1960 in Paris war, um einen abendfüllenden Film einzuspielen, wurde er von den Geldgebern daran gehindert, dokumentarische Szenen von Jean Tinguelys berühmter Schrottobjektpromenade am Boulevard Montparnasse einzufügen. Diese Manifestation von Kunst auf der Strasse fiel aus dem Rahmen des kommerziell Gängigen. „Våroffer“(Frühlingsopfer), wie der Film ursprünglich hieß, wurde in den pornographisch gefärbten Streifen „Svenska flickor i Paris“ (Schwedische Mädchen in Paris) verwandelt. Peter Weiss distanzierte sich von dem Film.

In Gesellschaft. Er wurde quer über den Gang des Großraumabteils mit einem quengelig lang gezogenen „Dad“ angeredet. Dass es sich um Vater und Sohn handelte, war ersichtlich, und sie schienen Briten zu sein. Bemerkenswert machte sie das alles nicht, und eine weitere Verhaltensgleichmäßigkeit war vielleicht nur im Auge des Beobachters etwas Besonderes: Sie nahmen in Fahrtrichtung Platz, schalteten mit der ersten Handbewegung den Bildschirm in der Rückenlehne vor ihnen an – und vertieften sich in ihre Lektüre: der eine in sein Comic-Heft , der andere in ein Finanzblatt. Auf den Bildschirmen rollte – glücklicherweise völlig stumm – ein Spielfilm ab. Gelegentlich blickte Geraldine Chaplin streng über ihren schmalen Nasenrücken auf die Lesenden herab, aber die schenkten ihr nicht die geringste Beachtung. Was da lief, interessierte nicht, ob etwas anderes verfügbar sei, genausowenig. Die Bildschirme leuchteten...(aus der FAZ vom 25.Jänner 2000).

Durch das Übermaß an Informationen, durch die „neuen“ medialen Strukturen und durch das Tempo der Zeit haben sich die individuellen künstlerischen Handlungsfelder extrem verändert.

Was bedingt diese Veränderung? Eine andere Arbeitsweise, die eine kommunikative sein muß?

Auch wenn es momentan den Anschein hat, als ob  KünstlerIn  nur  im Kollektiv mit Kuratoren, sozial  definierten KünstlerInnen-Gruppen uä  arbeiten kann, ist vorauszusehen, daß das gesamte System der Kunst eine wirklich zukunftsweisende Struktur findet: das so archaisch  anmutende Modell des „autonomen Künstlers“(auch mit Computer, dem neuen Freund an ihrer/seiner Seite).

 

Birgit Jürgenssen, April 2000 

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