Susanne Rohringer
Das gezeigte Wort

Die Galerie Hubert Winter beginnt das Jahr 2017 mit einem Tribut an die früh verstorbene österreichische Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949-2003)

Hubert Winter, der jedes Jahr mit einer Ausstellung an die Ausnahmekünstlerin erinnert, zeigt heuer unter dem Titel „Ungesehenes“ Arbeiten aus dem Nachlass von Jürgenssen. Vom Guardian als „brillant verstörend“ bezeichnet, unterstreichen diese Werke erneut die handwerkliche Präzision der Künstlerin, sowie ihre Fähigkeit weibliche Verhältnisse treffend auf den Punkt zu bringen.

Zu sehen sind Aquarelle vom Ende der 70er Jahre, etwa die mit wenigen Pinselstrichen umrissene Frau, zu deren Füßen ein Tier kauert. An den Extremitäten verjüngen sich Tier und Mensch und scheinen sich in der Unendlichkeit des (Papier)raums zu treffen und aufzulösen. Es ist die Trautheit von Mensch und Tier beziehungsweise Bestie, die den Betrachter rührt. z23

Neben den frühen Aquarellen sind auch aquarellierte Bewegungsstudien von weiblichen Körpern aus den 1980er Jahren zu sehen. Mit wenigen Kohlestrichen skizziert, trägt der menschliche Körper einen Fisch als Kopf und scheint sich hin und her zu werfen. Die Art der Darstellung ist ein Kind ihrer Zeit und erinnert auch an Skizzen- und „Bilderbücher“ von Günter Brus.

Neben den erstaunlichen Aquarellen sei hier auch auf die pointierten künstlerischen Aussagen von Birgit Jürgenssen verwiesen, da sie sehr prägnant Gedanken in Kunst gießen konnte. So auch bei „Augenlinie direkt“ von 1978. s63 Ein Lot hängt in einem Eisengerüst, darüber ist schräg ein Spiegel montiert. Blickt man in den Spiegel, wird die Reflexion des Auges durch eine Glasplatte an das Ende des Lots übertragen, in dem ein Graphitstift steckt. Jede Augen- und Lidbewegung wird somit graphisch verfolgt und auf ein Blatt Papier unter dem Lot übertragen. Jürgenssen hat damit einen Kontrollapparat für weibliche Blicke entworfen. Jeder „Augenblick“ wird vermessen und dokumentiert.

Solch schaurige Instrumente, die an das grausame Element in Jürgenssens Schuhapparaten oder an die Erzählung „In der Strafkolonie“ von Franz Kafka erinnern, sind in manchen Fotografien, die auch in dieser Ausstellung zu sehen sind, nicht zu finden.
Im Gegenteil: Da ist eine Fotoserie von 1996 zu sehen, in der sich die Künstlerin vor einem verdeckten, aber lichten Fenster mit nacktem Oberkörper selbst fotografierte. Durch den Durchbruch des gedämpften Lichts und den schwarz beschatteten Körper mit seinen unterschiedlichen Bewegungen, strahlen diese Fotos eine intime Poetik aus.
Die fotografische Begabung von Jürgenssen wird mit weiteren Arbeiten in der Ausstellung gewürdigt. Hier sei aber auf eine Zusammenschau von unterschiedlichen Stilmitteln verwiesen, die Jürgenssen gekonnt einsetzen konnte.

So sind bei Hubert Winter auch kleine Collagen zu sehen, in denen Jürgenssen kleine Frauenköpfe auf Folie malte, mehrere Folien übereinander schichtete und noch mit zwei Polaroids kombinierte. Die Art und Zusammenstellung der Collage und die dabei angewandeten Techniken offenbaren die Kunstfertigkeit der Schöpferin dieser Miniaturen.

Die „ungesehenen“ Arbeiten von Birgit Jürgenssen, mit ihrer künstlerischen Vielseitigkeit, zeigen einmal mehr was in diesem zu kurzen Künstlerleben alles an Begabung angelegt war.

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