"Female Sensibility": Feministische Avantgarde im Lentos
"Female Sensibility": Feministische Avantgarde im Lentos
In Linz werden neu erworbene Werke der 1970er-Jahre-Pionierinnen aus der Sammlung Verbund gezeigt, die teils unheimlich zeitgemäß wirken. Nur der Ausstellungstitel stört.
Mit breiten Schultern, nackten Brüsten und Schamlippen baut sich die Bronzefigur von Gerda Fassel vor einem auf. Die Wiener Bildhauerin schuf Frauenkörper, die auf Schönheitsideale und Tabus pfiffen. Gegen die zarten Barbie-Puppen rebellierend, agierte die erste Professorin für Bildhauerei an der Universität für angewandte Kunst Wien fast wie eine Vorbotin der Body-Positivity-Bewegung.
Sie ist eine der 82 Künstlerinnen, die nun in der Ausstellung Female Sensibility im Linzer Lentos gezeigt werden. Die 200 Kunstwerke aus den 1970er-Jahren stammen aus der Sammlung Verbund, die von Gründungsdirektorin Gabriele Schor seit 2004 aufgebaut wird. Unter dem von ihr geprägten Begriff "Feministische Avantgarde" – der peu à peu Einzug in den Kunstkanon findet – tourt die Schau durch Europa und machte 2017 auch im Wiener Mumok Halt. Seither ist die Sammlung um 34 Positionen gewachsen, darunter auch Fassel, die zu den 17 vertretenen Österreicherinnen zählt.
Neben mittlerweile prominenten Werken von Renate Bertlmann oder Margot Pilz werden auch weniger bekannte wie jene Anne Marie Jehles präsentiert. Schor unterstreicht, dass es neben Valie Exports radikalen Aktionen auch viele Werke mit poetischer Qualität aus Österreich gibt, und verweist auf Zeichnungen von Birgit Jürgenssen und Holzschnitte von Auguste Kronheim. mehr
Seit der Women-Schau im Mumok hat sich die Sammlung um internationale Positionen aus Lateinamerika, Nordamerika, Asien sowie West- und Osteuropa erweitert. Durch Werke von Afroamerikanerinnen wie Emma Amos oder Elizabeth Catlett soll die Kollektion zunehmend diverser werden.
Spannend an der offen gestalteten Präsentation der Schau, die typisch für die Pionierinnen vorwiegend Videoarbeiten und Fotografien versammelt, sind die ähnlichen Strategien. Die Gefangenschaft im Korsett gesellschaftlicher Normen stellten die Frauen oft mit ähnlichen Mitteln dar: Gabriele Stötzer bandagierte sich ein, Elaine Shemilt umwickelte ihren nackten Körper mit Klebeband, und Annegret Soltau band einen Faden so lange um ihr Gesicht, bis sie ihn schließlich, als Befreiungsakt, durchschnitt.
Deutlich sind auch die Ähnlichkeiten bei Cindy Shermans, Martha Wilsons und Marcella Campagnanos Rollenspielen, wobei die Künstlerinnen die Bilder der jeweils anderen nicht kannten. Mithilfe von Kostümen und Maskerade wandelten sie sich zu Prostituierten, Hausfrauen, Sekretärinnen, Müttern. Waren mal verspielt, verrucht, verloren. Mit dieser Offenlegung hinterfragten sie Klischees: Was macht eine Frau aus? Wie wird Weiblichkeit konstruiert? Etwas schade ist es da, dass der Ausstellungstitel ebenfalls ein Stereotyp bedient. Eine "feminine Sensibilität" gibt es wohl nicht.
"Manspreading" damals und heute
Die Ausstellung – und auch die wichtige Arbeit von Schor, diese Werke jahrelang zusammenzutragen (für die sich lange niemand interessierte und die teils in Kisten auf Dachböden lagerten) – ist auch in Anbetracht aktueller Themen von Relevanz. Obwohl sich hinsichtlich der Gleichstellung natürlich sehr viel verbessert hat, wirken manche der Werke unheimlich zeitgemäß.
Das zeigt eine ebenfalls neue Arbeit in der Sammlung: Ein Plakat von Marianne Wex legt mit Bein- und Fußhaltungen Körpersprache offen, die in patriarchalen Strukturen wurzelt: Alle Frauen halten ihre Beine brav zusammen, die Männer spreizen ihre präpotent – heute nennt sich dieses kritisierte Verhalten "Manspreading". Auch das Bild von Judy Chicago, auf dem ein blutiges Tampon aus einer Vulva gezogen wird, scheint sogar 50 Jahre später revolutionär – ein noch immer bestehendes Tabu, das es noch zu brechen gilt.