Gespräch zwischen den Ufern
CRITIC´S PICKS FOR VIENNA ART WEEK:
Einsam sind alle Brücken. Birgit Jürgenssen und Cinzia Ruggeri
Es ist ein eigentümliches Duo, das die Galerie Hubert Winter in ihrer aktuellen Show „Einsam sind alle Brücken“ präsentiert: Zwei radikale Individualistinnen, die sich zu Lebzeiten nie begegnet sind, sollen darin in einen posthumen künstlerischen Austausch treten, auf der einen Seite die Österreicherin Brigit Jürgenssen (1949–2003), auf der anderen die Italienerin Cinzia Ruggeri (1945–2019). Die eine – eine sich souverän in und zwischen unterschiedlichen künstlerischen Gattungen (Zeichnung, Fotografie, Assemblage) und Stilen bewegende Tausendsassarin, die andere eine hyperproduktive Grenzgängerin zwischen Design, Mode und Installation. Zwei Werke, die, auf den ersten Blick, kaum unterschiedlicher sein könnten: Jürgenssens kritisch-feministischer Surrealismus in der Tradition von Oppenheimer, Kahlo und Bourgeois trifft auf den poetisch verschrobenen Postmodernismus Ruggeris mit Anklängen an Minimal Art, Partizipationskunst und italienisches Radical Design. Dass der Dialog zwischen diesen beiden so eigenwilligen Positionen gelingt, ist das Verdienst von Marta Papini und Maurizio Cattelan, den KuratorInnen der Show, die sich in Auswahl und Anordnung der Werke vor allem von den gemeinsamen – nennen wir es einmal vorläufig – „Obessionen“ der zwei Künstlerinnen haben leiten lassen. mehr
Kleidung als Mittel der Maskierung und Verwandlung, als etwas, das das Kreatürliche der menschlichen Existenz ebenso verbergen und unterdrücken wie auch entfesseln kann, und das – als Fetisch – bisweilen selbst kreatürliche Züge annimmt.
Jürgenssens kritisch-feministischer Surrealismus in der Tradition von Oppenheimer, Kahlo und Bourgeois trifft auf den poetisch verschrobenen Postmodernismus Ruggeris.
Am deutlichsten (und schönsten) kommt die Komplementarität beider Werke in der Gegenüberstellung der (formal verblüffend ähnlichen) Arbeiten „Kopfsandale“ (Jürgenssen) und „Borsa Schiaffo“ (Ruggeri) zur Geltung: auf der einen Seite, unter Glas auf einem Podest präsentiert, eine ledernde rote Gesichtsmaske mit deutlichen BDSM-Anleihen; auf der anderen, vis-à-vis an der Wand hängend, eine rote Lederhandtasche, die sowohl als Handschuh wie auch als Schlagutensil (zur Disziplinierung von Grabschern) benutzt werden kann: Kleidung als Mittel der Selbstunterwerfung und der Selbstermächtigung. Pointierter lässt sich die Ambivalenz der Mode kaum darstellen.
Dass Jürgenssen mit bedeutend mehr Arbeiten vertreten ist als Ruggeri, mag zunächst irritieren. Angesichts der großen Zartheit und Fragilität von Jürgenssens Werk (allen voran, ihres fantastischen zeichnerischen Oeuvres) leuchtet die Entscheidung aber ein. Wäre Ruggeri mit mehr – zumal installativen, raumgreifenden – Werken vertreten, so würde das von Papini und Cattelan intendierte künstlerische Zwiegespräch wohl rasch in eine Schieflage rutschen. So aber ist „Einsam sind alle Brücke“ ein gleichberechtigter Austausch zwischen zwei – im allerbesten Sinne – höchst ungleichen Gesprächspartnern.