Ich bin immer ich
Ein posthumes Treffen zweier Künstlerinnen und einer Dichterin - Einsam sind alle Brücken in der Galerie Hubert Winter vereint Cinzia Ruggeri, Birgit Jürgenssen und Ingeborg Bachmann.
Bereits beim Eintreten in die Galerie wird man von einer übergroßen Hand aus schwarzem Samt begrüßt – und die Botschaft ist deutlich: Hier wird einem mehr als nur eine Dimension geboten. Die Hand ist das Kunstwerk Mano von Cinzia Ruggeri, deren Werke zusammen mit denen der Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen ausgestellt werden. Obwohl sich beide Frauen zu Lebzeiten nie begegnet sind, ergänzt sich ihre Kunst wie in einem Zahnrad, was sich in dieser von Maurizio Cattelan und Marta Papini kuratierten Ausstellung sehr gut widerspiegelt.
“There already are enough useful objects designed to perfectly fulfil their function” - Ruggeri mehr
Ein Spiel mit Klischees und Rollenbildern zieht sich wie eine Laufmasche an einer Strumpfhose durch den Ausstellungsraum. Solche Strumpfhosen, sowie Schuhe und Handschuhe werden thematisch aufgegriffen und aus ihren konventionellen Rollen gerissen – so findet man einen Schuh gefertigt aus einer Rinderzunge (Lick Tongue Shoe, 1974, Jürgenssen), den Entwurf einer aus Eiskristallen gefertigten Strumpfhose oder einen einsamen, an die Wand genagelten Handschuh.
Es wird mit Materialien und Funktion gespielt, um Kleidungsstücke - die menschliche zweite Haut und persönliches Ausdrucksmittel – ihrem eigentlichen Zweck zu entziehen. Die Entfremdung von der eigentlichen Form zieht den Nutzen der Kleidungsstücke durch den Kakao und damit auch die mit ihnen verbundenen Rollenbilder (obwohl man als Künstlerin in der Kunstwelt mitunter einen Nutzen aus Highheels in Form eines Pfluges ziehen könnte; To Plow One´s Way, 1976, Jürgenssen).
Wer liegt denn da in der Ecke?
Über die Dimension eines einzigen Mediums hinaus taucht die Ausstellung auch ins fotografische, und (mode-)zeichnerische Schaffen von Ruggeri und Jürgenssen ein. Die Serie Untitled (Body Projection) von Jürgenssen fängt Spiele mit Händen, Licht und Schatten als Vintage-Print ein und zeigt auf, wie der Körper als Projektionsfläche verwendet werden kann. Großformatige Drucke von Zeichnungen auf Stoffleinwänden teilen den Ausstellungsraum in mehrere Sektionen und vermitteln ein intimeres Erlebnis, sodass man die Werke in Ruhe auf sich wirken lassen kann. Man ist neugierig, was sich hinter dem Raumteiler verbirgt, wird aber nicht abgelenkt oder überfordert von den visuellen Eindrücken. Ein Highlight der Ausstellung ist Colombra (Ruggeri, 1990), eine Figur aus schwarzem Samt, welche sich liegend im Raum ausbreitet.
Es gibt viele Lesarten für die Kunstwerke, und keine ist falsch. Denn neben implizierten Aussagen, Gedanken und dem Aufgreifen gesellschaftlicher Themen und Problematiken ging es den beiden Künstlerinnen in großem Maße darum, ihre Kunst frei von gesellschaftlichen Konventionen und außerhalb der Vorgaben der Kunstwelt ausleben zu können, um einen ganz individuellen Ausdruck ihrer selbst und ihrer Kunst zu kreieren, fernab der Einflüsse dritter. Dies ist auch dem Transkript einer fiktiven Konversation zu entnehmen, welches die Galerie begleitend zur Verfügung stellt:
Cinzia Ruggeri: Ich liebe Freiheit und hasse Vorurteile, ich wollte einfach nur mich selbst und meine Ideen in einem freien Umfeld und auch in unbekannten Feldern ausdrücken und Menschen zum Lächeln bringen.
Birgit Jürgenssen: Ich nahm mir die Freiheit mit verschiedenen Medien zu arbeiten, unabhängig vom Markt und von Gedanken über den Verkauf meiner Arbeiten.
Ein Besuch der Ausstellung, welche noch bis zum 28. August zu sehen ist, lohnt sich auf jeden Fall. Aber bevor ihr dort hingeht, möchte ich diese Kritik mit einem letzten Vers aus einem Ingeborg Bachmann-Gedicht (Ich) abrunden:
Hier, so bin ich und so bleib ich
Und so bleib ich bis zur letzten Kraft.