Birgit Jürgenssen
"Ich beschäftige mich mit Fotografie..."
In: Manfred Schmalriede, Silke Schmalriede (Hrsg.): Ausst.-Kat. 2. Internationale Foto-Triennale Esslingen 1992. Erfundene Wirklichkeiten (Stuttgart: Edition Cantz, 1992), S. 109.

Ich beschäftige mich mit Fotografie  und dem Image, das sie reproduziert. Mit dem Blick und dem Unsichtbaren, und ich beziehe mich dabei auf das Verhältnis von Betrachter und dem Objekt der Phantasie.

Die mehrteiligen Arbeiten sind ein Puzzle über die Ursachen erotischer Manipulation und ihr Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Ein Spiel vom Selbst und dem anderen, um Subjekt und Objekt, dem Privaten und dem Öffentlichen. Es ist auch die Konfrontation einer Realität mit einer anderen Version derselben Realität.

Teilweise sind die Arbeiten Reflexionen auf den Mythos der Macht männlichen Wunschdenkens. Als Verführte möchte ich wieder verführen und mit visuellen Mitteln ein Gefühl der Sinnlichkeit erzeugen.

Die Arbeiten entstehen nach einem genauen Konzept; Alltägliches wird mit Lichtprojektionen kombiniert. Die Fotos sind mit durchsichtigem Stoff überzogen, um eine zweite Ebene zu schaffen, Zweidimensionales mit Dreidimensionalem verbunden, der Kälte des Mediums Sinnlichkeit geben, durch Verschleiern sichtbar machen. mehr

Der Stoff ist meist schwarzer Voile, ähnlich dem Material schwarzer Seidenstrümpfe, und verführt zum  Dahinter-schauen-Wollen und zu unerlaubter Berührung. Der Stoff und seine Durchsichtigkeit verändert sich mit dem Blickwinkel des Betrachters. Die Auseinandersetzung mit Illusion und Realität mag im Ansatz eine surrealistische Praktik sein, aber ich versuche, auch das Verhältnis von Form und Raum zu anderen Formen oder Farben sichtbar zu machen. Prinzipiell interessiert mich die Darstellung der Beziehungen und nicht die Darstellung der Dinge oder auch anders gesagt: Das natürliche Erscheinen der Dinge wird erst spannend wenn die Darstellung der Beziehung in den Vordergrund gerückt ist. Novalis hat gesagt: „ Jeder geliebte Gegenstand ist der Mittelpunkt eines Paradieses.“ Deshalb setze ich oft Gegenstände in meiner Fotografie ein, die einen Fetischcharakter haben, um eine Bewegung des Sich -Erinnerns oder Identifizierens auszulösen. Der Titel einer meiner Ausstellungen in New York war Clothing puts a perceptual veil before the object of desire. Wir halten einen leblosen Gegenstand fest, sofern er die Spur trägt von etwas oder jemandem, den wir besonders schätzen oder lieben. Ich hinterlasse Spuren auf dem Fotopapier.

„Durch das sichtbare wird der Glaube an die Wirklichkeit des Unsichtbaren erzeugt.“ (John Berger) 

Birgit Jürgenssen, 1992

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