Hans-Peter Wipplinger
Einführungstext zur Ausstellung Birgit Jürgenssen
im Rahmen der Mühlviertler Festspiele Schwertberg, Juli/ August 2004.

'Die Menschen sind, an was wir uns von ihnen erinnern. Was wir Leben nennen, ist letztlich das Flickwerk der Erinnerung eines Anderen', schrieb 1996 Joseph Brodsky in seinem Buch Von Schmerz und Vernunft.
Im Fall eines Künstlers haben wir das Werk, das unsere Erinnerung stärkt oder bestärkt und wieder auf den Künstler selbst zurückführt. Es zeigt die Gebärden der Seele. Es macht das Erzählen leicht. Und dabei gibt es so viele Dinge gleichzeitig zu sagen. Birgit Jürgenssen ist eine der großen bekannten und gleichzeitig unbekannten Künstlerinnen ihrer Zeit. Letztendlich scheiterte sie an ihrer Bescheidenheit. Und wie bei so vielen großen Künstlern wird ihr Nachruhm, ihr postumes Gesehenwerden unsere Erinnerung an sie bestimmen. 
Nicht dass Birgit Jürgenssen verkannt gewesen wäre. Ihre Ausstellungsliste ist beachtlich, ihre Erfolge als Lehrende auf den Wiener Akademien werden nicht nur von ihren Schülern gewürdigt. 
Ihr Werk, das uns so sehr emotional anspricht, entlässt uns in eine Welt der ästhetischen Kontemplation. Es ist unaufdringlich, aber umso eindringlicher.
Birgit Jürgenssen war, wie Rainer Metzger in einer Kritik zu ihrem Schuhwerk schrieb, 'mondän', eine Weltbürgerin im besten Sinne, New York war ihre zweite Heimat. Zu ihren Künstlerfreunden und Briefpartnern zählten Lawrence Weiner und Richard Tuttle, Fred Sandback und Dike Blair. Vielleicht blieb sie deshalb in Wien fremd. Sie schloß sich keiner Gruppierung an, und selbst das Damenquartett traf sich nur zur Arbeit. Als besessene, disziplinierte Arbeiterin hinterlässt sie ein Werk, das in seiner ganzen Schönheit (dieses lange verpönte Wort ist angebracht) sich uns erst nach und nach erschließen wird.
'Wenn wir ihre Schönheit in der Bedeutung spüren und nicht außerhalb der Bedeutung, in der Geschichte und nicht außerhalb der Geschichte, wenn wir verstehen und nicht nur bewundern, zuschreiben und erwerben, werden wir vielleicht wirklich die 'Kunst' töten, die wir uns konstruiert hatten, werden sie so von einer künstlichen Unsterblichkeit befreien; doch zugleich werden wir - endlich - gelernt haben, uns alle von ihren Gliedern zu nähren.' (Salvatore Settis, Giorgiones Gewitter)

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