Peter Weibel
Birgit Jürgenssen oder Körper-Kunst wider die Semiotik des Kapitals
In: Ausst.-Kat. Birgit Jürgenssen. Früher oder Später (Linz: Oberösterreichisches Landesmuseum, 1998), S. 83-85.

Zu den tragischen Folgen der Selbstzerstörung Europas im zweiten Weltkrieg zählt, daß das, was in den 90er Jahren vom Kunstbetrieb als gender-Debatte aus den USA importiert wurde, in den 70er Jahren in Europa schon stattfand und von diesem Kunstbetrieb unterdrückt wurde.
In Österreich sind Valie Export und Birgit Jürgenssen als zwei herausragende Künstlerinnen zu nennen, die in den 70er Jahren begannen, kulturelle Konstruktionen von Weiblichkeit zu untergraben und dabei ihre Körper als Projektionsfläche kultureller Codes und deren Kritik zu benutzen. In einprägsamen, beißend scharfen Bildern, seien es Fotografien, seien es Zeichnungen, hat Birgit Jürgenssen die bestehenden einschränkenden kulturellen und sozialen Konditionierungen der Frau, die Mechanismen und Automatismen der Unterdrückung der Frau, dekonstruiert. In gleichsam stilisierten Selbstporträts entfaltet Jürgenssen kritisch den Horizont der sozial diktierten Aktivitäten und Funktionen der Frau, wie Putzen, Bügeln, Kochen. In der Zeichnung "Fensterputzen" (z400) (1974) wird quasi ein Lebensfilm der Frau projiziert, vom Glücksversprechen der Ehe bis zum Elend des Alltags. Immer wieder zeigen die Zeichnungen Codes der Leibeigenschaft und der Enteignung: Wenn die Frau als Teil des Mobiliars und der Kleidung sich selbst bügelt (z963), oder unter dem voyeuristischen Blick des Mannes an das Bild festgenagelt ist (z410) , das der Mann sich von der Frau macht. Jürgenssen zeichnet stets Szenarien des alltäglichen Schreckens. Ihre Frauen sind nie im Besitz ihrer selbst, sondern festgenagelt an das Haus, an dessen Mobiliar, an dessen Einrichtung, eingezwängt in die Kleidung, sei es der Braut, sei es der Köchin. Die Küche ist in "Küchenschürze" (ph1578) (1975) Teil ihrer Kleidung, so wie die Frau in der Zeichnung "Bügeln" (z963) Teil der Tischdecke ist.Als überlebensgroße "Studentin" (z399) (1976), als Kindfrau, wie als überlebensgroße Katze (z401), bleibt die Frau eingesperrt im Käfig des Haushalts und des Hauses, gefesselt an die Ketten ihrer sozialen Funktionen. Die "Infantilgesellschaft" (so der Untertitel eines Romans von Elfriede Jelinek 1972) 1, welche das Idealbild der Konsumgesellschaft ist, wird hier bereits in einer Weise künstlerisch kritisiert, wie wir es später bei Charles Ray etwas weniger kritisch kennenlernen werden. Die euphemistischen Benennungen der Frau als "Hausfrau" bzw. als "Frauenzimmer" bezeichnen nichts anderes, als den Zustand der Domestikation (domus = Haus) der Frau durch ihre Bindung an den Haushalt, das Haus und die Funktionen im Haus. Jürgenssens Zeichnungen offerieren uns kritisch ein Panorama der sozialen Positionen der Frau, der Rollen und Funktionen, welche die Frau in der Gesellschaft gezwungenermaßen einnimmt. Jürgenssen antizipiert damit feministische Kunstpraktiken der 80er Jahre, wie von Cindy Sherman. Die Methode, die sie dabei verwendet, ist zum Teil surrealistischen Ursprungs. In ihren Maskeraden, Identitätswandlungen und Denunziationen kultureller Stereotypen läßt sie sich jedoch nicht auf die männliche Erotisierung des weiblichen Körpers und die geschlechtliche Kategorisierung ein, sondern wie Claude Cahun, auf die sie sich früh beruft, erkennt sie die scheinbar natürliche Weiblichkeit als eine soziale Konstruktion unter dem Diktat der Männer. Jürgenssen entschlägt sich dieser Diktatur, indem sie sich der hausfraulichen Identifizierung ihres Körpers und ihrer sozialen Funktion verweigert. Jürgenssens Zeichnungen zeigen uns die Effekte der Domestikation, wie sie bereits Friedrich Engels 2 in seinem berühmten Werk über den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates analysiert hat. Engels identifizierte die mittelständische Familie als Organisationseinheit innerhalb der kapitalistischen Ökonomie, die der Reproduktion von Arbeitskraft diente. Die fortschreitende Industrialisierung verlagerte die Produktion von Gütern immer mehr außerhalb des Hauses in Fabriken, sodaß schließlich die Männer die eigentliche Arbeit in den Fabriken leisteten und die Hausarbeit daher nicht mehr als eigentliche Arbeit galt und dementsprechend auch nicht bezahlt wurde. Die Hausarbeit, von Frauen verrichtet, gilt nicht als Lohnarbeit. Indem der Mann allein das Geld nach Hause bringt, das für den Einkauf von Gütern notwendig ist, wird die Arbeit der Frau im Haushalt entwertet und somit auch die Position der Frau. Feminisierung und Hausfrau-Codifizierung, so zeigt uns Jürgenssen deutlich, sind daher pejorative Prozesse innerhalb des kapitalistischen Weltsystems 3. Ihre Zeichnungen machen das sozial Unsichtbare sichtbar, nämlich die Legitimierung einer sozialen Hierarchie durch die Trennung in starke und schwache Geschlechter. Die Diktatur der Geschlechtertrennung bzw. der Geschlechterdifferenz verdrängt und verheimlicht eine viel ursprünglichere Trennung der Menschen nach Klassenunterschieden. Die Frauen bilden das sogenannte schwache Geschlecht, sie bilden den schwächeren Teil einer sozialen Ordnung. Die Geschlechterdifferenz ist also ein Mechanismus der Unterdrückung der Frau, ein Mechanismus zur Errichtung einer Klassenordnung, in der die Frau dem Mann untergeordnet ist. Die Frauen leben in einem sozialen Raum, wo sie für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen als Männer, oder für billigen Lohn in niederen Rängen schwierigere Arbeit leisten, oder wo ihre Hausarbeit nicht einmal als Arbeit honoriert wird und daher unbezahlt bleibt. Der weibliche Körper ist also im Grunde ein Territorium der männlichen Hegemonie und damit ein Feld der Kolonialisierung. Die Kleider und die Tätigkeiten der Frau in den Zeichnungen von Birgit Jürgenssen fungieren als ethnografische Verweise auf die Fremdbestimmung der Frau, als Verweise auf den Körper und das Geschlecht der Frau als ethnisches Territorium. Diese Ethnifizierung der Frau als minderwertig und marginal, z.B. als Hausfrau, wird normalerweise als Klassentrennung unsichtbar gemacht, indem sie als Geschlechterdifferenz ausgegeben wird. Jürgenssens Zeichnungen sind Spiegel dieses sozial Unbewußten und Verdrängten. Sie zeigen die sozial konstruierte Weiblichkeit als Leidensspur einer jahrhundertealten Diktatur. Zeigt Jürgenssen sich selbst mit einer Küchenschürze in Form eines Herdes, so wie später in den 90er Jahren Rosemarie Trockel Bilder und Skulpturen in Form eines abstrahierten Herdes macht, so revoltiert sie damit gegen die "Semiotik der Küche", wie Martha Rosler 1975 ihre klassische Video-Performance nannte. Zeigt Jürgenssen sich selbst immer wieder als putzende Hausfrau, so weist sie ebenso eindrucksvoll wie schmerzlich auf den Zusammenhang von Schmutz und Domestikation 4 hin. In ihren Zeichnungen erscheinen die Körper der Frauen, Mütter und Töchter als unfamiliäre Körper, als Fremdkörper und denunzieren damit die Fremdbestimmung der Frau durch die männliche Kolonisation des weiblichen Körpers, auch in seinen sozialen Funktionen. Die Hausfrau erscheint in Jürgenssens Zeichnungen als ethnisches Produkt, als Produkt von Rassismus, aufgebaut auf der Klassen- und Rassentrennung als Geschlechtertrennung. Ihre visuelle Kritik an kulturellen Stereotypen, an der Ethnifizierung und Kolonisierung der Frau in der kapitalistischen Kultur ist (feministische) Kunst höchsten Ranges. mehr

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