Humor statt Provokation
Birgit Jürgenssen (1949 bis 2003) ist nur schwer in eine Schublade zu stecken. Die Weserburg zeigt mit „Ich bin.“ aktuell die erste umfassende Ausstellung der feministischen Künstlerin in Norddeutschland.
Wie witzig, schlau und kreativ Birgit Jürgenssen ist, zeigte sich bereits, als sie acht Jahre alt war. Ihr Spitzname damals lautete Bi, also signierte die junge Künstlerin ihre frühen, an den berühmten spanischen Künstler angelehnten Zeichnungen in einem blanken Schulheft kurzerhand mit Bicasso Jürgenssen. Genau dieser Humor sollte auch später noch ein wichtiger Bestandteil von Jürgenssens Kunst bleiben, ebenso wie die Lust am Experiment und das Spiel mit Identitäten.
Die österreichische Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949 bis 2003) ist nur schwer in eine Schublade zu stecken. Wer die rund 200 ausgewählten Arbeiten betrachtet, die aktuell auf der dritten Etage der Weserburg in der Ausstellung „Ich bin.“ präsentiert werden, dem wird es fast schwerfallen, zu glauben, dass die so unterschiedlichen Werke alle der Kreativität einer einzigen Frau entsprungen sind. „Ich bin hier erstmals an die räumlichen Grenzen der Weserburg gestoßen“, sagt Janneke de Vries, Direktorin des doch ziemlich großen Museums, die die Ausstellung gemeinsam mit Natascha Burger vom Estate Birgit Jürgenssen in Wien kuratiert hat. Ihr hätten so viele der zur Verfügung stehenden Arbeiten gefallen, dass sie am liebsten noch viel mehr von ihnen gezeigt hätte. mehr
In den rund vier Jahrzehnten ihres Schaffens verfolgt Jürgenssen über alle künstlerischen Medien hinweg diverse stilistische und thematische Stränge zeitgleich, lässt sie mal liegen und greift sie Jahre später wieder auf. Deutlich zu erkennen sind neben diversen anderen immer wieder Einflüsse aus dem Strukturalismus ebenso wie aus dem Surrealismus. Und inhaltlich? „Geht es ganz grob zusammengefasst vor allem um den weiblichen Körper und dessen gesellschaftliche Zuschreibung“, so de Vries.
Das beinhalte sowohl zwischenmenschliche Beziehungen, das Thema Sexualität, gesellschaftliche Schönheitsideale, Geschlechterverhältnisse und den Umgang mit der eigenen Identität. Namensgeber der Ausstellung ist eine Arbeit aus dem Jahr 1995. Mit Kreide hat die Künstlerin die Worte „Ich bin.“ kurz, knapp und mit einem Punkt betont mit Kreide auf einer kleinen Schultafel verewigt. Neben ihr ein Schwamm, der die Worte wegzuwischen droht, es aber (noch) nicht tut – Jürgenssens Art mit dem Thema Vergänglichkeit und dem eigenen Ich umzugehen.
Jürgenssen setzt auf spitzen Humor
Während andere feministische Künstlerinnen in den 70er-Jahren häufig auf Provokation setzten, um sich Gehör zu verschaffen, setzt Jürgenssen auf spitzen Humor und geht weitaus subtiler vor als viele ihrer Kolleginnen. Sie braucht kein Megaphon, kein lautes Geschrei, keinen Vorschlaghammer. Jürgenssens Protest ist ein leiser. Die Künstlerin spielt mit Rollen- und Geschlechterklischees. Auf ihrer Fotografie „Hausfrauen – Küchenschürze“ (1975) präsentiert sie sich selbst mit einer schweren Schürze, in die Herd und Ofen gleich mit eingearbeitet sind. Und nicht nur das: Aus der offenen Ofentür ragt ein gebackenes Brot. Fertig ist das bissig-ironische Abbild der Frau als Hausfrau und Mutter.
Das gleiche Thema behandelt ihre fotografische Arbeit „Ich möchte hier raus!“ von 1976. Sie zeigt die Künstlerin fein hergerichtet mit biederer Rüschenbluse, Brosche und Ohrringen, wie sie ihr Gesicht und ihre Hände gegen eine Glasscheibe drückt und den Betrachter dabei direkt ansieht. In ihrer Zeichnung „Hausfrauenarbeit“ von 1973 ist eine bügelnde Frau mit Schürze und Haartuch zu sehen. Sie bügelt allerdings keine Hemden, sondern direkt ganze Männer, bis sie schön glatt sind und in die für sie vorgesehene Box passen – ganz ohne irgendwo anzuecken, oder knittrig zu werden. Wie praktisch.
Dafür, dass sie einen so anderen Weg ging als viele ihrer Künstlerkolleginnen in den 70er-Jahren, und weil sie durchaus auch mit ihren weiblichen Reizen spielte, bekam Jürgenssen auch Kritik aus den eigenen Reihen. Ihre Fotografie „Jeder hat seine eigene Ansicht“ (1975), die ihren nackten Rücken zeigt, auf dem mit Lippenstift eben dieser Satz geschrieben steht, kann als Jürgenssens Antwort darauf verstanden werden.
Eine Auswahl an irrwitzigen Schuhen
Auch das Verhältnis von Mensch, Tier und Natur zählt zu den Themen, die Jürgenssen häufig in ihrer Kunst behandelte. Ebenso experimentierte sie gerne mit Fetischelementen. In der Weserburg zu sehen ist in diesem Zusammenhang unter anderem eine Auswahl an irrwitzigen Schuhen – Modelle ebenso wie Zeichnungen und Fotografien. Da gibt es den schwangeren Schuh von 1976 oder die Kopfsandale aus demselben Jahr. Schmunzeln lässt vor allem ihre Schwarz-Weiß-Fotografie „Ballonschuh“ (1976). Diese zeigt einen weiblichen Po, der nur mit einer Nylonstrumpfhose bekleidet auf den Absätzen von zwei High Heels sitzt.
Neben dem bereits genannten wagte Jürgenssen auch Ausflüge in die expressive Malerei. Warum? Weil ein Mann (in diesem Fall war es der österreichische Maler Arnulf Rainer) einmal sagte, dass Frauen nicht zeichnen oder malen können. Ein Grund mehr für Jürgenssen, genau dies zu tun.