Maximilian Probst
Komplikatessen
Die Zeit No. 45, 29. Oktober 2020

Längst mehr als ein Herrenausstatter-Phänomen: Eine Berner Ausstellung beleuchtet den Dandy.

Der Dandy ist ein Meister der Distanz. Auf Tuchfühlung geht er eher mit dem Stoff seiner Hose als mit seinem Gegenüber. Wäre er damit ein Rollenmodell für die Corona-Zeit? Das ließe sich bei der Ausstellung No Dandy, No Fun überprüfen, die gerade in der Kunsthalle Bern eröffnet hat. Doch bleibt ihr wegen Corona nicht nur Rezensent fern – was vielleicht auch etwas Gutes hat: Wird die Ausstellung am Ende nicht umso legendärer gewesen sein, je weniger sie gesehen und besprochen worden ist? Eine Ausstellung für wenige, ein Gerücht fast: „Warst du da? – Leider nein, aber ich habe gehört, dass...“

Von den beiden Kuratoren Valérie Knoll und Hans-Christian Dany lässt sich telefonisch erfahren, die Zeit der Dandys fange gerade wieder an. Sie schicken Text- und Bildmaterial, das zeigen soll, wo der Dandy kulturgeschichtlich herkommt (nämlich aus der Literatur), wo er sich heute in besonderem Maße wiederfindet (in der bildenden Kunst) und warum es mehr von seiner Sorte geben sollte. Nicht wegen Corona, das wäre zu naheliegend; aber der Dandy, so viel ist klar, schätzt das Künstliche, dreht die Schraube immer um eine Windung weiter. Er ist, mit einem schönen Wort des Kunst-Psychologen Friedrich Wolfram Heubach, abonniert auf „Komplikatessen“. mehr

Also, was ist jetzt der Dandy, und warum brauchen wir ihn? Machen wir es unsererseits nicht zu kompliziert, hier kommt eine kompakte Erklärung in fünf Absätzen, zusammengeschraubt aus dem Material der Ausstellung und einigen eigenen Gedanken:

1: Der Dandy hält nicht nur zu seinen Mitbürgern Distanz, sondern auch zu sich selbst. Darum ist er alles andere als ein Narzisst. Wie könnte er sich selbst lieben, wo er sich doch durchschaut, als zu billig erachtet, wenn nicht gleich verachtet. Und sich darum Masken aufsetzt, die so rasch wechseln können, wie es seinem Sinn für Mode entspricht. Eine Maske verbirgt mehr als ein Mund-Nasen-Schutz, den zu tragen für ihn eine Anfängerübung ist.

2: Dandys fehlt ein sie definierendes Kennzeichen, wenn es sie nicht geradezu kennzeichnet, keines zu haben. Ein Herrenausstatter-Phänomen der Marke Bryan „Beau“ Brummell, der die Welt um 1800 über Schlipse, gestärkte Hemdkragen und den zweiteiligen Anzug aufklärte, sind Dandys längst nicht mehr. Äußerlich ununterscheidbar geworden von ihrer Mitwelt, können sie ihr Dandytum nunmehr ganz nach innen verlegen – wie Monsieur Teste in der gleichnamigen Erzählung von Paul Valéry, der alle natürlichen Regungen als etwas nicht frei Gewähltes, Undurchschautes, Manipulatives ausradiert und sich einer Maschine angleicht, für die er selbst das Programm geschrieben hat. Wozu diese Mimikry, diese Angleichung an den technologischen Materialstand unserer Kultur? Vielleicht weil wir der Maschine nur entkommen können, indem wir sie überholen.

3: Weil Dandys immer in Bewegung sind und nicht die Verhältnisse zum Tanzen bringen wollen (wie der Revolutionär), sondern über diese hinwegtänzeln, lassen sie sich schwer verorten. Vorbei die Zeit, als ein Dandy zwar suspekt, aber klar dem männlichen Geschlecht zugeordnet war; vorbei Baudelaires Idee, dass Frauen mit ihrer Gebärfähigkeit der Natur zu nahe stünden, als dass sie je ihr Leben als Kunst begreifen könnten. Wer wollte das etwa dem Schreibautomaten Hanne Darboven erzählen, die das tägliche Verrinnen ihrer Lebenszeit in Zahlenkolonnen und endlosen Schriftbögen transformierte, deren Zeichen auf nichts als sich selbst verweisen? Und wäre es nicht ohnehin ein paradoxer Versuch, die Frau aus dem Dandytum auszuschließen? Konkurrierten die Dandys nicht oft genug mit dem Frauen um den glanzvollen Auftritt, um die Blicke ringsum – und gerieten dabei ins Zwischenreich des Androgynen? Manchmal sind selbst Dandys weiter, als sie denken.

4: Auch seine angestammte kulturelle Herkunft hat der Dandy abgelegt wie ein Kleidungsstück, das plötzlich tout le monde trägt. Von seinen Mutterländern Frankreich und England aus geht er auf Reise rund um die Welt. In jedem neuen kulturellen Kontext, den er betritt, erweist sich die Beschränktheit ebenjenes Kontextes, vulgo: Der Dandy eckt an. Zum Beispiel als Black Dandy, der nicht eine vermeintlich „kulturelle Identität“ bejaht, sondern sie übersteigert, um sie als künstlich, als frei wählbar und somit nicht als gewachsen und auferlegt kenntlich zu machen. Oder er entzieht sich ganz den Identitätsmerkmalen, die ihm von außen als schwarzem Menschen zugeschrieben werden. So wie es der Künstler Stanley Brouwn tat, dessen karge Konzeptkunst, die sich der Vermessung von Entfernungen widmet, in den Satz passt: „I have become a distance“. Black Dandys, alle Dandys sind Universalisten. Sie mögen verachten, was alle Welt macht, weil sie wissen, wie entfernt die meisten Menschen von dem sind, was sie alles könnten – weniger beschränkt sein etwa.

5: Dandys sind faul, fassen sich meist kurz. In der Literatur hinterlassen sie Skizzen, allenfalls Essays, in der Kunst stehen sie oft in der Tradition von Duchamp und seinen Readymades. Ein Urinal zur Kunst zu erklären macht weniger Aufwand, als es zu produzieren. Die Welt ist eh schon zu voll, Großes passt nicht mehr hinein, von vielem gibt´s zu viel: zu viel Gerümpel, zu viel Informationen, zu viel CO2, zu viele Infektionen. Da verkrümeln sich Dandys lieber in ein Zimmer für sich allein und grübeln vor sich hin. Oder inszenieren ihr Verschwinden.

Das wäre ein Paradox, so recht nach dem Geschmack aller Dandys, so recht, womöglich, im Geiste der Berner Ausstellung: Die Zeit der Dandys ist gekommen – und niemand kriegt sie zu Gesicht.

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