Christina Böck
Geburtswehen der österreichischen Kunst

Die Albertina-Modern-Schau „The Beginning“ vereint Österreichs Avantgarde nach 1945 zu einem kulinarischen Kanon.

Eine Museumsneueröffnung stellt man sich normal auch glamouröser vor. Aber in Zeiten einer Pandemie muss man schon froh sein, wenn die Albertina modern im renovierten Künstlerhaus endlich – nach einer Verschiebung von mehr als zwei Monaten – tatsächlich starten kann. Das tut sie mit einer Ausstellung, deren Titel „The Beginning“ zum einen auf diesen Start anspielt und zum anderen den Aufbruchs-Impetus der österreichischen Nachkriegskunst einfangen will.

Einen Kanon der österreichischen Avantgarde wollte Klaus Albrecht Schröder mit seinen fünf Kuratorinnen und Kuratoren (Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Elisabeth Dutz, Berthold Ecker, Antonia Hoerschelmann und Angela Stief) zusammenstellen, 360 Werke von 74 Künstlern und Künstlerinnen, die die Erneuerung der österreichischen Kunst nach 1945 angetrieben haben. Der Nukleus dieses Kunstschaffens lässt sich geografisch auf einen Quadratkilometer in Wiens Innenstadt einschränken: zwischen Art-Club, Galerie St. Stephan, Akademie der Bildenden Künste. mehr

Aufarbeitung von Trauma
Wie die Literatur stand die Bildende Kunst vor der Frage, wie sie nach der alle Vorstellungen erschütternden Katastrophe des Zweiten Weltkriegs weitermachen könne. Alles musste neu verhandelt werden. Das Erleben der Diktatur, das Grauen des Krieges, die Entmenschlichung der Konzentrationslager waren die großen Themen der Künstler, an denen sie sich abarbeiteten. Das konnte sogar politische Konsequenzen haben, wie das Bild von Gottfried Helnwein, das einen Mädchenkopf im Nudelteller zeigt. Er malte es als Reaktion auf ein Interview mit Spiegelgrund-„Arzt“ Heinrich Gross, der trocken erzählte, dass im NS-Euthanasieprogramm Kindern Gift nicht injiziert, sondern ins Essen gemischt wurde. Die nicht folgende öffentliche Aufregung darüber ließ Helnwein handeln – die SPÖ ließ erst dann den von ihr geschützten Gross fallen.

Nicht bei allen geht die Aufarbeitung des Traumas so unter die Haut wie etwa bei der Skulptur „Den Tod atmen müssen“ von Curt Stenvert, einem Glaskasten, in den ein lieblicher Frauenpuppenkopf eingeschraubt ist, daneben liegt ein Gasschlauch. Das Werk befindet sich im Raum der Phantastischen Realisten, die an der Stunde null der Nachkriegskunst standen und mit ihren surrealistischen Apokalypsen den falschen Heldenidyllen der nationalsozialistischen Kunst düster antworteten. Ernst Fuchs, Arik Brauer sind hier natürlich genauso zu sehen wie Rudolf Hausners „Die Arche des Odysseus“, eines der vielschichtigsten Hauptwerke der österreichischen Kunst.

Friedensreich Hundertwasser ist mit Arbeiten vertreten, die zwar an den späteren Kommerz erinnern, aber die Herablassung darüber schnell peinlich schmecken lassen. Typische schneckenartige Kanäle, die sich mit unheilvollem Rot füllen, greifen die Gaskammern der KZs auf: „Gasflammen zusammen mit Flammen des heiligen Geistes“. 70 Verwandte Hundertwassers fielen den Nazis zum Opfer. Ihm gegenübergestellt sind Drahtskulpturen von Oswald Oberhuber: Sie zeigen, wie auch die Form zum Widerspruch wurde, vor allem im Skulpturbereich, etwa als Antwort auf Fritz Wotruba. Das große Spektrum der Skulptur in dieser Ausstellung beginnt bei Alfred Hrdlickas massiger „Hommage à Sonny Liston“, einer Antwort auf den historischen Boxkampf zwischen Liston und Cassius Clay, geht über Walter Pichlers beklemmendes Abdruckbett und Bruno Gironcoli und endet bei Padhi Frieberger und seinen philosophisch-humorvollen Zusammenstellungen aus Materialien wie Korb, Holzschächtelchen und Zeitungsausschnitten.

Breiten Raum gibt die Ausstellung der Wucht der Abstraktion in Bild und Objekt: Ob von Wolfgang Hollegha, dem laut Schröder als einzigem der Österreicher in New York eine internationale Karriereperspektive auf Jackson-Pollock-Niveau attestiert wurde, der darauf aber freiwillig verzichtete und nach Österreich zurückkehrte. Oder von Markus Prachensky, Josef Mikl, Max Weiler, Hans Staudacher und Maria Lassnig. Letztere hat auch einen eigenen Raum bekommen, er wird dominiert von ihrer durch die Hochhäuserschluchten stapfenden Riesenfrau.

Die Absicht der Ausstellung ist, sich nicht an Experten zu richten, sondern an ein „normales“ kunstinteressiertes Publikum. Dabei hilft, dass wirklich jedes Objekt einen aufschlussreichen, erklärenden Bildtext bekommen hat. Und das ist insofern gelungen, weil hier neben sattsam bekannten Akteuren – natürlich haben auch die Aktionisten ihren der Kunstgeschichte angemessenen Platz, Arnulf Rainer, Valie Export haben eigenen Räume, ebenso die Art brut mit einer Kreuzigungsszene mit erigiertem Penis von Franz Ringel – auch Kunstschaffende zu sehen sind, die bisher neben den omnipräsenten Namen vielleicht nicht so viel Scheinwerferlicht hatten.

Bunt und feministisch
Die österreichische Pop Art ist etwa in einem sehr bunten Raum zusammengefasst, Kiki Kogelniks knallige Bombe trifft hier auf Christian Ludwig Attersees Triptychon von Katzen in Pastell, die eine bös-heitere Orgie feiern. Daneben folgt die Op Art, etwa mit kinetischen Bildern von Helga Philipp, die wie rätselhaft und hypnotisch zerlegte 3D-Brillen wirken.

Überhaupt ist es erquicklich, die Künstlerinnen, die sich im damaligen Zeitgeist wohl eher der maskulinen Dominanz unterordnen mussten, hier in einem Kanonkontext zu entdecken. Sie beackern das zweiten Themengroßfeld: die Befreiung und Gleichstellung der Frau. Auguste Kronheim mit ihren Holzschnitten über den drögen Frauenalltag inklusive Druckkochtopf und blutigem Tampon, Liselotte Beschorner mit ihrer „Braut“, einer gehäkelten Skulptur mit Perlenmund und Spitzenhandschuhkörper, Karin Mack mit einer Fotoserie, die das Hausfrauenidyll buchstäblich aufspießt, Birgit Jürgenssen mit der unsichtbaren Frau, die sogar unwichtiger als ein Hündchen ist. Auch die letzte Biennale-Vertreterin, Renate Bertlmann, ist mit einem phallischen Patronengürtel vertreten.

Die Schau besteht zur Hälfte aus der ehemaligen Sammlung Essl, die Hans Peter Haselsteiner der Albertina als Dauerleihgabe anvertraut hat. Sie wird wohl noch öfter als ursprünglich geplant zu Ehren kommen. Schröder rechnet mit Pandemie-zuständen über Jahre, international bestückte Schauen könne er sich da nicht leisten: Ein eingeschränkter Flugverkehr steigere die Transportkosten für Leihgaben um 50 Prozent.

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