Inka Graeve Ingelmann
Eröffnungsrede anlässlich der Präsentation der ersten Monografie und Ausstellungseröffnung.
24. November 2009.

Guten Abend. Ich darf sie auch ganz herzlich begrüßen und mich vor allem bei der Sammlung Verbund ganz herzlich bedanken für die Einladung heute Abend sprechen zu dürfen, zur Eröffnung dieser zwar überschaubaren, aber mit ganz exquisiten Stücken ausgestatteten Ausstellung und vor allem dieser ganz besonderen, außergewöhnlichen, hervorragenden Monografie die zum Werk von Birgit Jürgenssen erschienen ist.

Das Bild der Frau ist das Bild des Mannes von der Frau. 
Diese scheinbar so schlichte doch in ihrer Konsequenz umso folgenreichere Feststellung trifft nicht nur auf die Kunstgeschichte zu, sondern bestimmte bis in die 1970er Jahre hinein die soziale und politische Positionierung der Frau in unserer Gesellschaft. Betrachten wir die Kunstgeschichte so zeigt sich, dass die Frau als zentrales Sujet den männlichen Schöpfungswillen seit Jahrhunderten inspiriert hat. Ob in religiösen Darstellungen als Mutter Gottes, Heilige oder Sünderin oder in historischen Szenen, hier vor allem als Allegorie. Immer unterlag die Darstellung des Weiblichen durch den männlichen Künstler einem überschaubaren Kanon an Rollen und Stereotypen. In ihnen spiegelte sich zugleich das jeweilige ästhetische Ideal der Zeit wider, wenn sie nur an Peter Paul Rubens denken. In kaum einer dieser Bildwerke ging es jedoch um die Charakterisierung einer individuellen Frau. So sagt das Bild der Frau, dass der männliche Künstler entwirft mehr über seine eigenen Projektionen und Sehnsüchte aus, als über die Person die tatsächlich Modell gestanden hat. Sie verschwindet gänzlich hinter dem Bild, das von ihr erschaffen wurde. Die Frau war in der Kunst lange nur gefügiges Material, das erst durch den Künstler Form und Bedeutung erlangte. Waren es über Jahrhunderte Männer, die das Bild der Frau bestimmten, so tauchen im 19. Jahrhundert vereinzelt und im 20. Jahrhundert in zunehmender Zahl Künstlerinnen auf, die sich selbstbewusst mit dem Bild des Weiblichen auseinandersetzen. Unter ihnen berühmte Persönlichkeiten wie Frida Kahlo, Paula Modersohn-Becker oder Maria Lassnig. Doch erst in den späten 60er und frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts tritt eine neue Generation rebellischer Künstlerinnen auf den Plan, die mit radikal anderen Darstellungsmitteln das Bild der Frau neu besetzen. Ihr künstlerisches Interesse galt weniger Malerei und Bildhauerei, denn auf Ihnen lastete eine jahrhundertealte Tradition. Es waren die vergleichsweise jungen Medien Fotografie, Film und Videokunst die sie zu neuen Ausdrucksformen inspirierten. Gerade aufgrund der Tatsache, dass diese lange als niedere Künste galten und an Kunsthochschulen nicht gelehrt wurden, bot sich Frauen hier die Möglichkeit, losgelöst von akademischen Regeln und tradierten Bildkonventionen frei zu experimentieren. Dies war der Grund warum so viele Künstlerinnen sich seit dem 19. Jahrhundert diesen technischen Medien zuwandten und nicht, wie der bekannte österreichische Maler Arnulf Rainer behauptete, weil Frauen einfach nicht malen können. Den stereotypen Vorstellungen ihrer männlichen Kollegen stellten sie dezidiert andersartige Bildentwürfe gegenüber und setzten dem zumeist sexistisch konnotierten Blick von außen, die eigene subtile Ansicht von innen entgegen. Nur wenige Protagonistinnen dieser ersten Generation feministischer Kunst wie beispielsweise Cindy Sherman konnten sich dauerhaft auf dem internationalen Kunstmarkt etablieren. Die meisten Anderen gerieten in Vergessenheit. Zu ihnen gehörte Birgit Jürgenssen. 
Ich selbst begegnete dem Werk von Birgit Jürgenssen erst vor zwei Jahren, als ich die Ausstellung „HELD TOGETHER WITH WATER" der Sammlung Verbund hier in Wien besuchte. Die außergewöhnliche Qualität ihrer Arbeiten, die Komplexität ihrer künstlerischen und geistigen Interessen, sie hat sich nicht nur für Kunst und Kunstgeschichte interessiert, sondern für Psychoanalyse, Poetik, Ethnologie und Philosophie, ihre grenzenlose Experimentierfreudigkeit in der Fotografie, der Zeichnung, der Performance und der Installation, ließen eine Künstlerin sichtbar werden die zu Unrecht der jüngsten Kunstgeschichte verloren gegangen ist. 
Wir entschlossen uns noch sehr kurzfristig Arbeiten von Birgit Jürgenssen in die Ausstellung „Female Trouble", die sich mit der Kamera als Bühne und Spiegel weiblicher Inszenierungen seit dem 19. Jahrhundert auseinandersetzte, aufzunehmen. Dort standen ihre Werke nicht nur in einem spannungsvollen Dialog mit dem Vorläuferinnen aus dem 19. Jahrhundert, sondern auch zu ihren Zeitgenossinnen, dabei muss man wissen, das die Künstlerinnen der 70er Jahre sich oft nicht untereinander kannten, und zu der jungen Generation der heute 40jährigen Künstlerinnen wie Pipilotti Rist oder Mathilde ter Heijne. Es zeigte sich, dass Birgit Jürgenssen „a hidden treasure" oder wie es Peter Weibel treffend ausdrückt „a missing link" in der Kunstgeschichte war, den es neu zu entdecken galt und der zu seinem Recht verholfen werden musste. Wir waren so beeindruckt von dem Werk von Birgit Jürgenssen, dass wir uns entschieden haben, eines ihrer Bilder auf das Cover unseren Katalogs, auf unser Plakat und unsere Einladungskarte zu geben und es hat sehr viel Aufsehen zumindest in München hervorgerufen. 
In ihrem Werk setzte sich Jürgenssen vor allem mit dem Bild des Weiblichen auseinander und entlarvte die Darstellungen ihrer männlichen Kollegen als Klischees. Oftmals ist die Künstlerin selbst das Modell doch ihre Werke sind nie Selbstbildnisse. Der eigene Körper, das Gesicht wandelt sich zum Material der künstlerischen Auseinandersetzung zum Papier, zum Negativ, zur Leinwand. Das Kunstwerk wird bei Birgit Jürgenssen zur Bühne auf der sich die Ambivalenz des Weiblichen als Bild und im Bild offenbart. Ihre wichtigsten rückblickend als stilprägend zu sehenden Werke entstehen im Bereich der Fotografie, die sie sich autodidaktisch angeeignet hat, während ihre exzellenten Zeichnungen, von denen sie einige in der Galerie sehen können, eine akademische Ausbildung vorweisen. Sie hat hier in Wien an der Hochschule für angewandte Kunst studiert, in den späten 60er Jahren. Wie ihre Künstlerkolleginnen Cindy Sherman oder Valie Export bricht Birgit Jürgenssen endgültig mit der kunsthistorischen Tradition des Frauenbildnisses. Das Bild der Frau, das sich so eindeutig in unserem kollektiven Bildgedächtnis eingeprägt zu haben schien, verwandelt sich in den Arbeiten von Birgit Jürgenssen zusehends in ein desperates, fragiles, instabiles Konstrukt. Doch gerade in der Verwirrung und Entgrenzung die sich im Werk von Jürgenssen durch Parodie, Provokation und Verschlüsselung manifestieren, eröffnet uns die Künstlerin zahlreiche Möglichkeiten, das Bild der Frau neu zu denken. mehr

Ich möchte der Sammlung Verbund ganz herzlich gratulieren, dass sie den Mut hatte und die Offenheit, das Werk und die Wiederentdeckung dieser Künstlerin so nachhaltig zu unterstützen. Dieses innovative und durchaus risikofreudige Vorgehen, ist für mich auch deshalb so ungewöhnlich weil wir nicht in einer Museumssammlung stehen sondern in einer Firmensammlung. Und von einer Firmensammlung erwarten wir meistens, dass sie sich auf Kunstgeschichte sanktionierte Positionen konzentriert. Mit dieser kleinen Ausstellung aber vor allem mit der vorzüglichen und von Gabriele Schor verantworteten Werkmonografie haben sie Pionierleistung erbracht, auf dem Weg zur Wiederentdeckung von Birgit Jürgenssen. Und der Einzug in die Kunstgeschichte ist der erste Schritt der folgen wird. 

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