Schuh mit Eigenleben
Wer mit der neuen Sammlungspräsentation einen Parcours durch die neuere Kunstgeschichte erwartet, wird in "Flirting With Strangers" von Überraschungen gestoppt werden. Zwar ist es ohnehin nicht mehr üblich, objektive Kriterien von Ankauf und Ausstellung in Museen der Gegenwartskunst erreichen zu wollen wie in der klassischen Moderne, der subjektive Aspekt wird von den Kuratoren Luisa Ziaja und Severin Dünser also nicht abgestritten. Sie berufen sich in ihrer Auswahl von Altbeständen und Neuankäufen - Letztere immerhin 1511 Exponate seit 2007- auf die Theorie Jean Baudrillards, der dem Bild (Kunstwerk) eine eigenständige Existenz zubilligt, wobei die Missbilligung des Realen in der "täglichen Prosa der Gegenstände" mit "unbewusster und triumphaler Unterhaltung" zusammenkommen dürfen. Spielerische Note bedeutet aber nicht spaßige; die Schau hat durchaus logische Reihen und Gegenüberstellungen, obwohl keine zwingenden Themenfolgen und vor allem keine zeitlichen Linien vorherrschen. mehr
Eigene Assoziationen
Statt linearer Entwicklung sind wiederkehrende Wege und Formgeschichte wie jene der Abstraktion, die Erweiterung des Skulpturenbegriffs und Mischungen neuer Medien wichtig. Das Publikum muss seine eigenen Assoziationen ausloten, aber auch sein Denken einbringen, denn es wechselt hier der Blick von österreichisch und westlich in die globale Geografie. Dieser ist gegenwärtig nicht zu leugnen, doch kann ein postkoloniales Statement wie Lisl Pongers "Indian(er) Jones" mit heutiger feministischer Institutionskritik im Video Nathalie Kogers, "Was ausgestellt wird", und dem Kommunikationsmöbel von Irene Hohenbüchler auch zufällig auf Oswald Oberhubers Objekt "Kunst ohne Künstler" treffen. Die Werke müssen auch nicht inhaltlich verschmelzen wie Rudolf Polanszkys aktionistisches "Sitzbild mit fotografischen Illustrationen." Das Performative ist neben Videos in Fotografien einer Birgit Jürgenssen, Zeichnungen und Fotos von Erwin Wurm oder Jacob Lena Knebel präsent und wird bei der Eröffnung von Heinrich Dunst als selbstverfremdender Rückblick auf die Wiener Gruppe inszeniert.
Die "Anker in die Vergangenheit" lassen mit dem Haus lange verbundene Werke und eine anonyme romanische Fuchsfigur neben dem springenden Pferd eines Herbert Boeckl, einer Kuhherde und der "Gottesanbeterin" von wenig bekannten Wotruba-Schülern mit Oskar Kokoschkas Tigerlöwen, Peter Koglers Ameisen, den Spielzeugparaphrasen von Gelatin und Salvatore Vivianos Teddy "Call Me Maybe" von 2015 auftreten. Eigenleben können auch Schuhe, Stühle und Tische in dieser Schau vom Foto bis zur Installation entwickeln, dabei ist Esin Turan neben Kurt Hüpfners "Frau Lot" oderHans Kupelwiesers "Bar" neben der tragbaren Raucherzone von Sarah Lucas zu erwähnen.
Unkonventionelle Hängung
Ein gelungenes Display aus Resten vorhergehender Präsentationen ist keine künstlerische Intervention, sondern auch Konzept der Kuratoren und wie ihre Hängung und Positionierung durchaus unkonventionell: Da blickt jetzt Bruno Gironcolis "Gelbe Madonna" zwischen Kornähren und Klomuscheln als Schockobjekt der 1970er mit Flora Neuwirth und Sonja Leimer in den Schweizergarten oder die "Robots" Kiki Kogelniks von 1965 schweben neben Walter Obholzer und Christian Mayer. Zeitlos wird ein Prozess von Ideen sichtbar und Gesichter wie Rahmen oder die geometrische Seite der Abstraktion werden Streifzügen unterzogen. Die Auflösung des Subjekts bei Elisabeth Penker oder Nick Oberthaler ist dabei völlig anders als das auslaufende Plastilingesicht der Gelatin-Mona-Lisa oder die Selbstverdoppelungen von Maria Lassnig oder Elke Krystufek. Fragmentarisch und nur angerissen bleibt alles, was gesagt wird - auch "Platzhalter" (Sonia Leimer), Zäune wie Gerold Tagwerkers "Fencing_orange#2" oder Rosemarie Trockels Zwitterwesen "On A Clear Day You Can See Forever II" beenden den Garten der Konstellationen nicht willkürlich. Ein Tiergarten, zumindest in Anna Jermolaewas humoriger Fotofolge "Good Times, Bad Times" von der alten Uhr am Wiener Westbahnhof mit Tauben. Dass sie sich dabei sehr politisch mit den Machtverhältnissen solcher Orte des Ankommens als Flüchtling aus Russland 1989 auseinandersetzt, passt zum Tagesgeschehen. Roland Goeschls "Kleine Formation" gibt der Erinnerung an seine große skulpturale "Aufschüttung" des 20er Hauses an der Fassade in den späten 1960er Jahren freien Lauf. Der freie Sammlungseinblick ist erfrischend.